Mit Würde motivieren: András Schiff dirigiert und spielt auf einem historischen Flügel
Nach der ersten Zugabe, der wie spontan hingeträumten „Arabeske“ von Robert Schumann, klappt András Schiff den Blüthner-Flügel zu, der auf der Bühne des Herkulessaals prangt. Eigenhändig. Abgesehen davon, dass man kurzzeitig Angst um des Pianisten kostbare Finger hat, ist der Hinweis offensichtlich: Das Konzert ist vorbei. Doch da heben die Musikerinnen und Musiker des Orchestra of the Age of Enlightenment noch einmal die historischen Instrumente, und es gibt als großzügiges Abschiedsgeschenk noch die ganze „Hebriden“-Ouvertüre von Felix Mendelssohn Bartholdy - dirigiert von András Schiff.
Auch das könnte man als ein Signal lesen, zumal der Pianist schon vorher aufstand, wenn er Pause hatte, um koordinierend mitzuwirken. Schiff versteht anscheinend seine Rolle nicht mehr bloß als ein Solist, der die Begleitung halt auch noch mit übernimmt. Anlässlich der musikalischen Umrundung der „Hebriden“, vorher schon bei der Ouvertüre und drei Nummern aus Mendelssohns Bühnenmusik zu „Ein Sommernachtstraum“, steht Schiff vor dem exzellenten Ensemble und schlägt mit würdevollen, doch motivierenden Bewegungen den Takt, gibt gekonnt sämtliche Einsätze, und hilft den Londonern, die symphonischen Formen organischer zu entwickeln, als sie das wohl in Eigenregie könnten.
Bereitet da jemand seinen Wechsel ins Dirigentenfach vor? Auf jeden Fall agiert András Schiff allein in puncto Schlagtechnik professioneller als die meisten seiner Kollegen, die über eine bloße Ausbildung auf einem Instrument verfügen. Ins Bild passt auch, dass der 71-Jährige - das hatte sich schon bei früheren Auftritten gezeigt -, es mit der pianistischen Technik nicht mehr allzu genau nimmt. Im Konzertstück von Robert Schumann (der wenig griffige Titel lautet „Introduktion und Allegro appassionato“), mehr noch in dessen Klavierkonzert, fallen immer mal wieder kleinere Ungenauigkeiten wie untergehende Mittelstimmen ins Ohr.
Die Kehrseite des Historisierens
Möglicherweise liegt das aber auch an der vergleichsweisen Hartgängigkeit des Hammerklaviers. Der Blüthner-Flügel Nr. 600, um 1859 in Leipzig gebaut, ist ein herrliches Instrument, eindringlich in der hohen Lage, schattenhaft raunend in der tiefen. Aber er verlangt mehr Nachdruck im Anschlag, als es der vom modernen Steinway verwöhnte Schiff gewöhnt ist.
Das ist die Kehrseite der historisierenden Instrumente, die sich auch beim Orchestra of the Age of Enlightenment offenbart. Im namengebenden „Zeitalter der Aufklärung“ mussten die Hörner in Ermangelung der erst später erfundenen Ventile diejenigen Töne, die nicht auf der Naturtonleiter vorhanden sind, durch Stopfen produzieren. Die nicht zu vermeidende Folge dieser Verlegenheit ist ein Quäken, das den Gesangslinien im „Notturno“ aus Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Musik Abbruch tut. Vielleicht könnte András Schiff in einer etwaigen neuen Rolle als Chefdirigent die Spielerinnen und Spieler davon überzeugen, fallweise auf die nur unwesentlich moderneren Ventilhörner umzusteigen?
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