Mit Mariss Jansons auf Tournee im Osten der USA
Er scherzt und kichert, wirkt entspannt und ungewöhnlich gelassen. Selten hat man Mariss Jansons in den vergangenen Jahren in derart gesunder, auch gelöster Verfassung erlebt wie jetzt auf der Nordamerika-Tournee des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks.
Es scheint ihm vor allem gut zu bekommen, dass die Doppelbelastung als Chefdirigent in München und beim Concertgebouw-Orchester in Amsterdam vom Tisch ist. Jetzt steht allein das BR-Symphonieorchester im Fokus. „Das ist viel Arbeit – ein großes Repertoire, das man studieren muss. Mit den Jahren ist das schwierig.“
Natürlich hat Jansons zusätzliche Pläne. „Ich möchte versuchen, jedes Jahr Oper zu dirigieren – an verschiedenen Orten. Salzburg ist in Planung.“ Aber die Arbeit in München bleibt klar der Schwerpunkt. Auf der USA-Tournee schenkt er dem Orchester viel Vertrauen. Jansons dirigiert nicht mehr jedes Detail aus. „Er ist ein Kontroll-Freak, aber jetzt lässt er es auch einmal fließen“, bestätigt Bassist und Orchestervorstand Heinrich Braun.
Ein Kraftakt
Auf der jetzigen Reise ist den Musikern und Jansons nicht anzumerken, dass sie schon seit 2003 zusammenarbeiten. Von Routine oder Selbstgefälligkeit spürt man nichts. Einnehmend frisch und offen wirkt ihr Spiel in den USA und Kanada – obwohl eine Tournee in den USA mittlerweile ein wahnwitziger Kraftakt ist.
„Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Geld wir verlieren“, sagt Jansons. Um das aufzufangen, müsse man sorgfältig planen und wirtschaften. Die Zauberformel lautet: Mischkalkulation. Dahinter verbirgt sich eine Strategie, die in verschiedene Richtungen greift. Das Orchester spielt daher nicht nur in großen Städten wie Washington, Chicago und New York oder im kanadischen Montreal, sondern auch an kleinen Orten wie Chapel Hill in North Carolina und Ann Arbor in Michigan. „Sie sind wichtig für uns, weil es ihnen finanziell sehr gut geht und sie im Prinzip unsere Reise finanzieren“, so Jansons.
Tatsächlich sitzen in Chapel Hill und Ann Arbor große Universitäten mit finanzkräftigen Stiftungen. Um attraktiv zu sein, stärken sie das heimische Kulturleben mit glanzvollen internationalen Gastspielen. Und das Konzept geht auf, zumal erstaunlich viel junges Publikum in den Sälen saß.
Grundsätzlich verfügen die BR-Symphoniker über ein festes Budget für Gastspiele – verbunden mit der Vorgabe, dass die Bilanz am Ende ausgeglichen ist. Finanziell schwierige Tourneen werden auch durch sicherere Gastspiele davor oder danach ausgeglichen, als gezielte Vor- oder Nachfinanzierung. Für die jetzige Nordamerika-Tour stellt Orchestermanager Nikolaus Pont fest: „Die Gebührenzahler zahlen nichts drauf.“
Hohe Hürden
Allerdings müssen bei Gastspielen in den USA auch gewaltige bürokratische und organisatorische Hürden genommen werden. Besonders heikel sind die Bestimmungen zum Artenschutz, die streng ausgelegt werden. Es geht um geschützte Materialien wie Elfenbein, Perlmutt oder Edelhölzer, die beispielsweise im Geigen- und Bogenbau für Jahrhunderte die Norm waren. Sie dürfen weder ein- noch ausgeführt werden, wenn sie nach 1978 verarbeitet wurden. Wer aber problemlos in die USA reisen möchte, sollte sich möglichst auch bescheinigen lassen, dass alles den Regeln entspricht. Das kann kompliziert und teuer werden, weshalb bei dieser BR-Tournee erstmals alle Bögen zentral eingesammelt wurden. „Es ist das politische Klima, das den internationalen Kulturaustausch schwieriger macht – ein Symptom unserer Zeit“, so Pont.
Trotzdem ist die Präsenz auf dem US-amerikanischen Markt für das Orchester wichtig. Jansons spricht von „Prestige“: „Es gibt Orte in der Welt, da muss man spielen – wir auch. Unser Orchester muss weltberühmt sein, um sich international behaupten zu können. Das ist seine Aufgabe, und das geht nur so.“ Die aktive, emotionale Reaktion und Neugierde des Publikums in den USA macht den wahnwitzigen Aufwand um ein Vielfaches wieder wett – so auch jetzt bei der Nordamerika-Tournee.
Aufregender Mahler
Dabei markiert nicht nur die Aufführungen der „Leningrader Symphonie“ Nr. 7 von Dmitri Schostakowitsch in Montreal und Chicago eine ganz besondere interpretatorische Sternstunde, sondern zuvörderst die Symphonie Nr. 5 von Gustav Mahler in Washington. Jansons glückte die Gestaltung des Klangs und des Tempos exemplarisch. Statt bei Mahler effekthascherisch auf Überwältigung zu setzen oder auf die Tränendrüse zu drücken, legen die Musiker und ihr Chefdirigent die klangliche Architektur glasklar frei.
Umso stilsicherer und vielfältiger wurde das Innenleben der Fünften von Mahler verlebendigt, wovon gerade auch das berühmte, allzu oft verhunzte Adagietto profitierte. Wo andere mit zerdehnten Tempi eine sentimentale Kitschorgie zelebrieren, ließ es Jansons wohltuend fließen. Bei ihm erwuchs ein wortloses Liebeslied auf das Leben, eine Romanze, was nach den abgründigen ersten zwei Sätzen und dem bizarren, schattenhaften Scherzo in seiner Wahrhaftigkeit umso mehr berührte. Im Washingtoner „Kennedy Center“ herrschte gebannte Ruhe, und nach dem Finale wollte der Jubel nicht aufhören.
Begeisterte Besucher
In Chicago schwenkte eine Besucherin nach Schostakowitschs Siebter sogar die Deutschland-Flagge. „Ich bin zwar hier geboren, aber meine Familie stammt ursprünglich aus Hof in Bayern“, verriet sie. Zuvor hatte sich Riccardo Muti, Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra, bei der Anspielprobe kurz blicken lassen, um Jansons zu umarmen und die BR-Musiker zu begrüßen. Auch im kanadischen Montreal wurden die Münchner stürmisch gefeiert. Allerdings blieb hier ein schaler Nachgeschmack, denn: Die Akustik im 2011 von Kent Nagano eröffneten Konzertsaal kann nicht ganz überzeugen. Der Klang ist warm und rund, allerdings verschwimmen manche Details im langen Nachhall. Nebengeräusche im Publikum werden verstärkt.
Als klassische Schuhschachtel ist die Halle in Montreal entworfen; die Akustik stammt von der Firma Artec, die auch das KKL in Luzern betreut hat. Wie Musiker des heimischen Orchestre symphonique de Montréal berichten, wurden im Montrealer Saal 300 Sitzplätze zu viel eingebaut, um mehr Karten zu verkaufen – ein fataler Fehler. Für den neuen Konzertsaal in München wäre diese Akustik nicht gut genug. „In München dürfen wir jetzt keine Fehler machen“, sagt Jansons. „Wenn du billig kaufst, wirst du viel bezahlen. Das hat mein Vater immer gesagt.“