Kritik

Michael Patrick Kelly in der Olympiahalle: Paddys Oktoberfest

Der stimmgewaltige Wahlmünchner Michael Patrick Kelly sorgt in der gut gefüllten Olympiahalle für beste Pop-Unterhaltung. Die AZ-Konzertkritik.
Florian Koch |
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Michael Patrick Kelly bei seinem Konzert in der Olympiahalle.
Michael Patrick Kelly bei seinem Konzert in der Olympiahalle. © Jens Niering

Ein Wiesn-Medley gefällig? Vielleicht darf es ein Mix aus "Rollin' On the River", "Twist and Shout" und "La Bamba" sein? Ja, auch in der Olympiahalle strecken sich bei diesen Gassenhauern die Hände zum Himmel, grölen 8.000 Menschen begeistert mit.

Nur wenige Minuten später stehen sie aber alle wie versteinert da. Nicht in Schockstarre versunken, sondern andächtig lauschend den Worten des Mannes, der diesen Abend zuvor zu einem Großen gemacht hat. Dieser Michael Patrick Kelly, der gerade noch die Zugabe-Ekstase befeuert hat, hält inne, erinnert an seine schwerste Zeit, nach den Jahren als Teenie-Idol "Paddy" im Kreise seiner Geschwister, der Kelly Family.

Im Kloster in Frankreich hatte er sich zurückgezogen, suchte nach dem "Reset"-Knopf. Die Mönche, ausgerechnet, hätten ihn wieder zur Lust bekehrt, zur Lust an der Musik, hätten ihn immer wieder in den Keller geschickt, "da wo das Brot gebacken wird", damit er, der einstige Superstar, doch endlich wieder zur Gitarre greift und seiner Leidenschaft nachgeht. In "Holy", dem letzten Song erinnert er noch einmal an seine spirituelle Reise, dankt auch dem "Herrn da oben", wirkt dabei aber gar nicht wie ein sendungsbewusster Geistlicher.

Vielmehr steht hier jemand auf der Bühne, der mit 44 Jahren, nach vielen Höhepunkten, aber auch Tiefschlägen, bei sich angekommen, glücklich scheint. Davon zeugen auch die zweieinhalb Stunden zuvor, in denen Kelly nicht nur stimmlich beweist, dass er mit den Größen im Popgeschäft mithalten kann.

Im ersten Song, "Diamonds & Metals", hält sich der Multiinstrumentalist noch im Schatten der gelbstichigen LEDs auf, lässt seiner gewitzt-virtuosen fünfköpfigen Band den Vortritt. Bereits beim zweiten Titel "Earthquake" wird die Olympiahalle rockig durchgeschüttelt, fällt passend der animierte Putz von den gelben Leinwänden.

8.000 Menschen bei Kellys "Heimspiel" in der Olympiahalle

Kelly hat die Fans, von der Oma, die noch von Pink Floyd schwärmt, bis zur aufgeregten Enkelin, die hier auf ihrem ersten Konzert mitfiebert (und -filmt) in ihren Bann geschlagen. Alle stehen sie bereits, bewegen rhythmisch die Arme, berauschen sich an Kellys wackelfreier Vier-Oktaven-Stimme, an den eingängigen "Oh, Oh, Oh"-Mitsingliedern und am für die Olympiahalle erstaunlich klaren, perfekt abgemischten Sound.

"Servus München, servus Bayern", ruft Kelly, dieser drahtige Springinsfeld mit der Popstar-Locke, ihnen freudig zu, scheint ehrlich erleichtert, dass die Halle bei seinem "Heimspiel" doch so voll ist, trotz Oktoberfest, trotz Corona-Bedenken.

Nach dem beherzten Einstieg schaltet er mit "B.O.A.T.S", dem Titelsong seines neuen Albums souverän in den Balladengang. Ein gelbes Boot hat er hier fahnenschwenkend geentert, vor einer kargen in die Tiefe gehenden 3D-Landschaft. Später wird er das Boot wieder hervorholen, virtuell bei einer Höllenerkundung und ganz real, bei einer Umrundung der Halle.

Der Titel steht aber auch für "Based on a True Story", für wahre Geschichten, die Kelly geprägt haben. Zwei von ihnen führt er länger aus, wie in "Icon", der die Wandlung eines Schwerverbrechers zum Ikonenmaler beschreibt. Oder "Running Blind" über einen plötzlich erblindeten Mann, der dank der Hilfe des Publikums bei den Paralympics in Sydney Gold gewinnt. Hier vergisst Kelly auch mal kurz den Text, der einzige lässig aufgefangene Fauxpas des Abends, der stets so leicht, so unangestrengt zwischen nachdenklich und ausgelassen wechselt.

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Plötzlich gibt es eine Schweigeminute beim Konzert

Der in München wohnende gebürtige Ire versteht es, sein Publikum mitzunehmen, nahbar zu sein, wenn er Drumsticks an einen Fan verschenkt oder zum Spaß auch mal eine Halbe Bier auf ex trinkt. Und doch verliert dieser sozial engagierte Künstler bei aller Albernheit oder musikalischen Glanzpunkten wie ein wildes Gitarrenduell oder ein innerliches Bruce-Springsteen-Cover ("I'm On Fire") nie den Ernst der Lage, das Leben da draußen aus dem Blick.

Nach der getragenen Piano-Nummer "Paragliding" senkt sich dann auch eine gewaltige 840 Kilogramm schwere Glocke, gegossen aus ukrainischem Kriegsschrott und Munitionsresten, über die Bühne. Kelly, plötzlich in sich gekehrt, schlägt sie und bittet gleich um eine Schweigeminute für den Frieden. Und alle sind sie plötzlich still, bis Kelly die unheimliche Ruhe mit einem "Party On!" unterbricht, dass bei ihm, mal wieder, so gar nicht unpassend, sondern befreiend wirkt.

Was folgt ist "Ares Qui", der einzige Song aus seiner Kelly-Family-Zeit. Ein kurzer Verweis, mehr aber auch nicht. Und auch das scheint für einen Michael Patrick Kelly in dieser Form gerade recht.

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