Lehrstunde in Subtilität: Julia Kleiter und Christian Gerhaher im Prinzregententheater

Nach einem Richard-Strauss-Abend mit Opernkraftgesang und einem überschäumenden Orchester tut ein Liederabend gut. Es herrscht gelassene Ruhe, Akzente werden subtil gesetzt und ein zurückhaltender Pianist wie Gerold Huber ersetzt bisweilen ein ganzes Orchester.
All das war bereits in den ersten Takten zu hören: Julia Kleiter begann die "Widmung", das erste Stück der "Myrthen" von Robert Schumann, mit dem angemessenen Enthusiasmus. Sie akzentuierte die Wonne, von der Goethes Gedicht spricht und nahm die Stimme beim Wort "Schmerz" mit einer kleinen Temporückung wieder zurück – alles in optimaler Harmonie mit dem unaufdringlichen, aber präzisen Begleiter am Klavier.
Ähnlich genau und mit maximaler Textverständlichkeit ging es zwei hochkonzentrierte Stunden im Prinzregententheater weiter. Die Sopranistin teilte sich die romantischen Lieder mit Christian Gerhaher, der wie immer mit baritonaler Natürlichkeit, Kraft und sicherer Höhe Schumanns Musik interpretierte. Der Bariton, auf der Höhe seiner Kunst und Erfahrung, schöpfte wie üblich aus dem Vollen, etwa im ersten Lied aus dem "Schenkenbuch" des "West-östlichen Divan".

Da machte Gerhaher deutlich, dass der trinkende Selbstdenker - anders als es der Text behauptet - sehr wohl an seiner Einsamkeit leidet. Der Bariton und die Sopranistin ergänzten sich perfekt: Beide interpretieren vertonte Lyrik ganz vom Text her. Julia Kleiter konzentrierte sich tendenziell auf die zu ihrer Stimmcharakteristik passenden freundlicheren Lieder, Christian Gerhaher hatte sich auf Schwermut, Trauer und Schrulligkeit spezialisiert - etwa im Schmerzensgesang aus den Hebräischen Gesängen (Nr. 15).
Allenfalls das ironische Rätsel (Nr. 16) wäre vielleicht bei Gerhaher besser aufgehoben gewesen. Nach der Pause folgten Romanzen und Balladen aus op. 64 und davor die auch von Schumann-Kennern weniger geschätzten Lieder und Gesänge aus Goethes "Wilhelm Meister". Kleiter übernahm die Lieder Philines und der Mignon, Gerhaher den Harfner.
Warum nicht mal Schumanns einzige Oper?
Es hätte sich vielleicht angeboten, das im Roman von Mignon und dem Harfner abwechselnd gesungene "Nur wer die Sehnsucht kennt" ähnlich zu teilen. Aber das Duo vereinte sich erst so dramaturgisch wirksam wie zum Text passend beim Heine-Lied "Tragödie".
Beim zugegebenen Duett "Wenn ich ein Vöglein wär’" wurde allerdings auch der Grund für diese Vorsicht deutlich: So schön es ist, beide Stimmen abwechselnd zu hören, so vergleichsweise schlecht mischen sie sich im Duett.

Der Vöglein-Zwiegesang, der auch in Schumanns einziger Oper "Genoveva" vorkommt, konnte einen nach der undramatischen "Pénélope"-Premiere am gleichen Ort wenige Tage zuvor auch auf den Gedanken bringen, dass auch diese musikalisch schöne, szenisch aber schwierige Oper in München mit gleicher Berechtigung ein halbes Dutzend Vorstellungen verdienen könnte wie Gabriel Faurés Opernversuch. Über die Besetzung zweier zentraler Rollen in "Genoveva" müsste man sich jedenfalls keine Sorgen machen.
Christian Gerhaher singt am 22. Juli um 20 Uhr, wieder begleitet von Gerold Huber, im Prinzregententheater ein weiteres Schumann-Programm, u. a. mit der "Dichterliebe", Restkarten