Kristjan Randalu über sein aktuelles Programm
Musik, wie sie Kristjan Randalu spielt, klingt wohl so, weil sie in der Stille, in der Abgeschiedenheit, ganz weit weg vom urbanen Trubel entsteht. Vor ein paar Jahren ist der Pianist und Komponist wieder zurückgezogen in die alte Heimat nach Estland. Gut zwei Stunden von der Hauptstadt Tallinn entfernt wohnt er mit der Familie im Wald.
Zum Üben oder Komponieren muss er nur über den Hof gehen – in einem kleinen Nebenhäuschen, in dem ein Flügel steht, kann er mit sich allein bleiben. „Ich gehe da zu jeder Tag- und Nachtzeit rein und störe niemanden“, sagt Randalu in akzentfreiem Deutsch – er ist ab dem neunten Lebensjahr in Karlsruhe aufgewachsen und hat später an der Musikhochschule Stuttgart studiert.
Was ihm in der Klause durch den Kopf geht oder aus der Seele fließt, ist mal für kleine Jazz-Besetzungen gedacht und mal profitieren große Orchester von seiner Fantasie. Randalu ist als Sohn eines Pianisten-Paares stets von Klassik umgeben gewesen. Das hat ihn geprägt. Vielleicht ist deshalb auch kein ganz typischer Jazzmusiker aus ihm geworden.
Fokus auf der Form
„Bei allem was ich tue, war der Fokus immer auf das Klangbild als solches gerichtet, auf die Form“, erzählt er und stockt kurz, weil eine Maus in aller Seelenruhe den Frühstücksraum seines Münchner Hotels durchquert. „Ich versuche, beim Komponieren das analytische Denken auszuschalten und einfach ganz frei von Selbstzensur in mich hineinzuhören“, sagt der Tonsetzer beim Interview, das übrigens beim rein zufälligen Treffen in der Tropfsteinhöhle von Gibraltar verabredet wurde.
Die Frage, woher er beim Schreiben den Mut zum Einfachen nimmt, beantwortet er mit einer Anekdote: „Trifft in New York ein Musiker einen anderen und sagt: ,Deine „Musik ist aber vielleicht kompliziert.’ Der sagt nur: ,Dankeschön!’“
Den Lacher seines Gegenübers wartet Kristjan Randalu schmunzelnd ab, um hinterherzuschicken: „Einfache Melodien zu erzwingen, funktioniert nicht.“
Die selbst gewählte Isolation verlässt Randulu meist, um sich mit frischen Eindrücken einzudecken und sich neuen musikalischen Situationen auszusetzen. So ist er etwa mit dem tunesischen Oudspieler Dapher Youssef immer wieder mal unterwegs, tauscht sich mit seinem Kumpel aus der Jugendzeit, dem Perkussionisten Bodek Jahnke auf Bühnen aus oder geht unter eigenem Namen auf Tour – wie jetzt.
Im Zweifel nix wie weg
Mit dem amerikanischen Gitarren-Magier Ben Monder und dem finnischen Perkussionisten Markku Ounaskari spielt er live Musik des Albums „Absence“ (ECM) – die kann ätherisch sein und sich viel Raum und Zeit lassen oder ganz dicht verwoben, bewegt, formbewusst und bei allen Lyrizismen höchst munter. „Gelegenheiten, auswärts zu musizieren, möchte ich so wenig missen wie das ruhige Leben auf dem Lande. Ich muss manchmal einfach raus aus meinem gewohnten Umfeld. Mich nämlich nur in Estland aufzuhalten, würde musikalisch einiges verkomplizieren. Die Szene hier ist sehr klein, und man ist in den Möglichkeiten etwas zu entwickeln, aufzubauen oder zu probieren, doch sehr eingeschränkt.“
Kann auch sein, dass Kristjan Randalu irgendwann mal wieder ganz weggeht aus dem Land seiner Ahnen. Wenn auch nicht ganz freiwillig. Dass zu Vladimir Putins Leidenschaften nicht nur das Reiten mit freiem Oberkörper oder das Posieren neben betäubten Tigern, sondern auch das Annektieren gehört, macht ihm mulmige Gefühle. „Als die Krim okkupiert wurde, habe ich mir schon überlegt, wie ich im Ernstfall so schnell wie möglich hier wegkomme.“
Unterfahrt, Donnerstag, 21 Uhr, Einsteinstraße 42, Eintritt: 24/ 12 Euro, Telefon 448 27 94
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