Kit Armstrong über Musik, Mathematik und Meeresfrüchte
Alfred Brendel nannte den jungen Mann 2008 die „größte musikalische Begabung, der ich in meinem ganzen Leben begegnet bin“. Kit Armstrongs Karriere hat dieses Lob nicht geschadet. Zwischenzeitlich hat er Mathematik studiert, sich selbst perfekt Deutsch beigebracht und eigene Kompositionen aufgenommen. Der Tausendsassa gastiert am Donnerstag, Freitag und Samstag beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit dem Klavierkonzert Nr. 1 von Béla Bartók.
AZ: Ist es eine Last, dass Alfred Brendel Sie einen Jahrhundertkünstler genannt hat?
KIT ARMSTRONG: Ganz ehrlich: Es ist das erste Mal, dass ich das höre – vielleicht werde ich ihn bei unserer nächsten Begegnung fragen, was er damit gemeint hat. Trotzdem: Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst, etwas zu schaffen, dessen Aussage über den Tag hinausgeht.
Sie bleiben sich selbst treu und verkaufen Ihre Seele nicht?
Vielleicht habe ich meine Seele schon verkauft, aber ich merke es nicht. Nein, in meinem Fall hat diese Formulierung keine Bedeutung.
Brendels Lob brachte Ihnen viele Angebote ein. Die meisten haben Sie abgelehnt und lieber Mathematik studiert. Was fasziniert Sie daran?
Sie hat genauso eine Seele wie die Musik. Man braucht Intuition, Begeisterung und einen Sinn für das Schöne. Denn ohne diesen Sinn existiert die Mathematik nicht. Die reine Mathematik ist nämlich etwas ziemlich Unpraktisches: Man forscht nicht, um die Lösung für ein bekanntes Problem zu finden, sondern um schöne Sachen zu entdecken.
Ist das auch beim Komponieren wichtig für Sie?
In erster Linie bin ich Musiker und in zweiter Linie Pianist – davon war ich immer überzeugt. Der Musiker arbeitet mit Klangvorstellungen und noch nicht verwirklichten Ideen – und der Pianist erschafft daraus etwas auf dem Klavier. Insofern ist es uninteressant, die pianistische Technik zu studieren, weil sie eine leere Hülle ist.
Das klingt, als sei für Sie am Ende für die Interpretation der Bauch wichtiger als der Kopf.
Man kann Kopf und Bauch nicht trennen. Ist die Phrasierung eine Sache des Bauchgefühls oder des Verstands? Ist die Klangschönheit Intuition oder Verstand? Natürlich ist der Rhythmus eine Sache des Verstandes, weil man immer bewusst zählen und die Struktur im Kopf behalten muss. Doch warum macht man das?
Verraten Sie es uns!
Weil es unserem Bauchgefühl entspricht, das wiederum aus der Tradition dieser Musik entstanden ist – diese Tradition indes ist wieder Kopfsache. Mir fällt kein Beispiel ein, bei dem ich nicht verschiedene Argumente fände, um etwas als Bauchgefühl oder als Sache des Verstandes zu bezeichnen: Es gibt Argumente für beides.
Sie essen und kochen für Ihr Leben gern. Was ist Ihr Lieblingsgericht?
Meeresfrüchte! Es gibt auf dieser Welt weniges, was in mir solch überragende Gefühle erregt.
In welcher Zubereitung?
Sie müssen ganz frisch sein – im besten Falle lebendig – und ohne aufwändige Zubereitung. Ganz einfach gedünstet, gebraten oder auch roh gegessen. Koche ich für mich selbst, kaufe ich mir einen Hummer oder einen Fisch und bereite diese ganz schlicht in einem Topf oder einer Pfanne, ohne Soße.
Ist diese Leidenschaft fürs Kochen ein Ausgleich für Ihre ja sonst doch sehr vom Geist dominierten Beschäftigungen?
Körperlich auf jeden Fall … Neulich habe ich gemerkt, dass ich, nachdem ich Teig geknetet oder Nudeln selbst gemacht habe, keine gescheiten Tremoli mehr spielen kann. Es gibt offenbar Gegenbewegungen, die einfach nicht zusammenpassen.
Kochen Sie für sich oder für andere?
Was ich für mich entdeckt habe, würde ich anderen nicht anbieten. Zum Beispiel Spiegelei mit Grapefruitsaft – aus der Grapefruit mache ich eine Soße und schütte diese über das Spiegelei: Das klingt komisch, schmeckt aber wirklich gut.
Sie experimentieren gern?
Genau. Jüngst habe ich mich damit beschäftigt, ein gutes Rhabarber-Kompott zu machen: In diesem Fall musste jemand eine Woche lang jeden Tag Rhabarberkompott essen. Allerdings mit Abwechslung: Erst habe ich es mit Pflaumen versucht – sehr gut für die Farbe, aber sauer; dann traditionell mit Äpfeln, wobei mir die mehlige Konsistenz nicht so gefiel. Am besten war es mit Birnen: eine große Stange Rhabarber auf zwei Birnen. Nächstes Mal werde ich noch eine andere Mischung probieren, mit nur einer Birne – wobei es sein könnte, dass es dann wieder nicht süß genug ist.
Ich fürchte fast, Sie werden eines Tages noch Koch.
In der Tat war es eine Kette von Zufällen, dass ich zur Musik gekommen bin, da ich in meiner Familie keinen Zugang zur Musik gefunden hätte und wahrscheinlich auch nicht den Kontakt zu dieser Welt. Mein jetziger Lebensabschnitt ist sehr erfüllend und wird auch im Rückblick immer erfüllend gewesen sein. Was danach passiert, woher soll ich das heute wissen?
Es könnte also durchaus sein, dass Kit Armstrong eines Tages etwas ganz anderes macht.
Ja – und dafür ist es wiederum ein großes Glück, dass ich eine Ausbildung gehabt habe, die nicht aus dem gleichen Bereich wie meine jetzige Tätigkeit stammt.
Philharmonie am Gasteig, 26. und 27. 11, 20 Uhr, und 28. 11., 19 Uhr. In dem Konzert dirigiert Alain Altinoglu außerdem Strawinskys „Le chant du Rossignol“, Ravels „Ma mère l’oye“ und Bartóks „Der wunderbare Mandarin“. Restkarten unter Telefon 5900 10880 und an der Abendkasse.