Kissin: Sich selbst erfinden!

Jewgenij Kissin im Gasteig mit Werken von Beethoven, Prokofiew, Chopin und Liszt
Michael Bastian Weiß |
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Jewgenij Kissin im Gasteig mit Werken von beethoven, Prokofiew, Chopin und Liszt

Selten einmal stimmt in einem Konzert schlichtweg alles, und wenn das einmal so ist, so ist es besonders schwer zu beschreiben. Warum ist Jewgenij Kissin ein so einzigartiger Pianist? Schon sein Ton vereint Gegensätze in sich, ohne sie einzuebnen oder aber zu weit auseinanderstreben zu lassen, ein immaterielles Piano etwa, ein phantastisch gesangliches Legato oder ein markiges Staccato mit einer ungewöhnlich starken linken Hand. Seine Anschlagspalette ist so breit, dass es kaum möglich scheint, dem Klavier noch mehr Zwischentöne abzugewinnen, und doch ist diese Vielfalt immer vollkommen kontrolliert auf ein einheitliches Zentrum bezogen.

Das Spiel des Russen ist stets frei von Extremen, klassisch gerundet und dennoch extrem reich. Beispielhaft anschaulich wird das an Ludwig van Beethovens „Waldstein“-Sonate. Schon das aufreizend gleichmäßige Tuckern des Kopfsatzes etwa rubatisiert er so fein, dass es nie zudringlich wird. Die vieldiskutierte Frage des Tempos etwa, das hier als eher gemäßigt erscheint, spielt eigentlich keine Rolle. Wohl aber, dass Kissin alle Schönheiten, auch die versteckten, nicht nur aufzeigt, sondern sie mit sanfter Gewalt unter einen weiten Bogen bringt. Die ganze Sonate ersteht aus einem Guss.

Bezwingende Plausibilität

Sogar ein so rätselhaftes Werk wie Sergej Prokofjews 4. Klaviersonate c-moll vermag Kissin schmackhaft zu machen. Das Stück wirkt wie eine aufgeschriebene Improvisation, an deren Sinnhaftigkeit der Komponist den Hörer nur widerwillig teilhaben lässt. Unter Kissins Händen erreicht auch diese Sonate eine bezwingende Plausibilität.

Möglicherweise hat dem ehemaligen Wunderkind die Auszeit gut getan, die er sich vor ein paar Jahren gönnte. Er, der stets eine Aura der Strenge um sich schuf, zeigt sich nun auch am Flügel bewegter, mitunter gar tänzerisch, und er spielt sogar draufgängerischer als früher. Franz Liszts 15. Ungarische Rhapsodie, der „Rákóczy-Marsch“, lässt das Publikum schlicht atemlos zurück.

Das Herzstück des aktuellen Rezitals freilich sind die ausgewählten Nocturnes und Mazurken Frédéric Chopins. Hier entsteht reine Musik, ganz allein aus sich heraus, vermittelnd zwischen dem Klangluxus eines Claudio Arrau und der analytischen Schärfe eines Maurizio Pollini. Gerade in der Miniatur verwirklicht sich ein Kosmos der Klavierkunst. Was also macht Kissin so groß? Er hat seinen eigenen Stil erschaffen.

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