Kim Wilde in München: Rockende Wave-Veteranin

Brodelnde Stille liegt über dem weiträumigen Gelände, in dem in wenigen Wochen Tiertrainer, Pferde, Clowns und Tiger das Zepter übernehmen werden. Doch heute ist eine andere Attraktion angesagt, die langjährige Fans voller Erinnerungen sehnsuchtsvoll erwarten. Nach und nach macht sich Vorfreude erkennbar. Obwohl die Vorstellung restlos ausverkauft ist, drängelt niemand, die Herzen sehnen sich nach einem Abend voller Leichtigkeit. Die Gespräche sind leise, auch in der Schlange, die sich für Snacks und Drinks anstellt.
Jene fast ehrfürchtige Atmosphäre wird nur einmal durch den Ausruf des Unmuts eines Besuchers gestört, der sich echauffiert, dass die Manege unbestuhlt sei, ein Umstand, der vor 45 Jahren bei Popkonzerten als selbstverständlich galt. Im Gegenteil, hätten Veranstalter seinerzeit die Arena mit Sitzgelegenheiten versehen, hätte dies heftige Aufstände zur Folge gehabt.
Auch eine andere Kuriosität macht deutlich, dass wir uns im Jahr 2025 befinden: Wie in Serien und Filmen gibt es auch beim heutigen Konzert eine Triggerwarnung, allerdings nicht „Rauchen“, „Nacktheit“ oder „Alkoholkonsum“, sondern: „Achtung!! Stroboskopeffekte!!“ .

Zwei Minuten vor Beginn, um 19:58, tritt nonchalant die Band auf die Bühne, überwiegend schwarz gekleidet, einige komplett in Leder, doch keineswegs bedrohlich wirkend, sondern eher unbeschwert und cool.
Kim Wilde übersetzte Nenas Hit
So auch der Star des Abends, Kim Wilde, gewohnt fröhlich, wenige Tage vor ihrem 65. Geburtstag nach wie vor strahlend schön, stilvoll gekleidet mit nietenbesetzter Fransenlederjacke, das blonde Haar von einem Ventilator angeweht wie in einem Werbeclip. Schnörkellos singt sie gleich zu Beginn die beiden Hits „Hey Mr. Heartache“ und „You came“. Man könnte diesen Song so interpretieren, als sei es eine Hommage an einen ihrer Fans - Menschen, die sie seit Beginn ihrer Karriere zuverlässig und kompromisslos begleiteten: „Eine Person, die ich kenne, starrt mich an. Wenn ich ihr in die Augen blicke, sehe ich ein Mädchen, das ich einmal war. Ich erkenne mich kaum wieder. Denn zwischenzeitlich konnte ich beobachten, wie mein altes Ich verschwunden ist. All die Dinge, die mir einst so wichtig waren, bedeuten mir nichts mehr. Denn plötzlich kamst du und hast mein Leben verändert. Niemand könnte dich mehr lieben, denn du kamst und hast mein Leben auf den Kopf gestellt.“
In den vorderen Reihen halten zwei Menschen mit blinkenden Hüten herzförmige Schilder in die Luft. Auch die Backgroundsängerin blinkt. Auf den Schildern steht: „Kim, please dance with me!“ und „Kim, you are the best“. Die alltägliche Last des Lebens weicht wohliger Harmonie der virtuosen musikalischen Mischung aus New Wave und Rock, die bald balladenhaft, bald discotauglich transportiert wird.
Im Duett mit der eigenen Nichte
Jene an beiden Armen umfassend tätowierte Backgroundsängerin ist übrigens Kims Nichte Scarlett Wilde, sie legt sich mächtig ins Zeug, schreitet selbstbewusst trällernd über die Bühne, kniet vor ihrer Tante nieder, liefert sich kleine Miniatur Duette mit dem stylischen Gitarristen samt Biker-Sonnenbrille, während silberne Kreuze und Ketten ihre Hüften umschmeicheln.

Kim Wildes Karriere begann Anfang der 1980er Jahre, sie füllte die Hallen und lief auf MTV rauf und runter. Kurzzeitig versetzte sie dann Mitte der Neunziger ihre Anhängerschaft in einen Schock, als sie sich nicht mehr auf den Stereotyp einer sexy Blondine reduzieren lassen wollte, unvermittelt ihren Rückzug aus der Musik erklärte und sich für einige Zeit mit der Pflege von Parks und der ästhetischen Umsetzung von funktionalen Gartenkonzepten befasste.
Das Comeback erfolgte nach der Jahrtausendwende mit Nena, deren Kassenschlager „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ Kim Wilde ins Englische übersetzte und mit Nena höchstpersönlich im Studio vertonte - ein konsequenter Akt, da die beiden gleichalten Frauen auch in etwa zeitgleich ihre Karriere begannen.

Einst trug die als Kim Smith geborene Britin den Spitznamen „Madonna aus England“, obwohl die zwei Jahre ältere Italo-Amerikanerin erst anderthalb Jahre nach Kim Wilde ihre erste Single veröffentlichte. Kim Wildes erste Songs entstanden in Zusammenarbeit mit ihrem als Vater Reginald (Künstlername: Marty), die Liste der veröffentlichten Alben ist ellenlang und musikalisch sehr abwechslungsreich, auch das neue Album ist wieder durchaus tanzbar, so wie weiland ihr allererster Chartbreaker „Kids in America“, mit dem sie und ihre grandiose Band das Publikum im Circus Krone Bau gewaltig zum Beben bringt, so wie es in dieser Räumlichkeit vor knapp 60 Jahren höchstens die Beatles und die Stones zustandebrachten.