Kritik

Kaufmann-Eklat beim Liederabend: In der Isarphilharmonie kam es zu einem Vorfall

Diana Damrau und der Tenor aus München singen Klavierlieder von Richard Strauss und Gustav Mahler in der Isarphilharmonie. Ein beeindruckender Auftritt – doch mit einem Störfaktor aus dem Publikum. Was vorgefallen ist.
von  Michael Bastian Weiß
Jonas Kaufmann, Diana Damrau und der Pianist Helmut Deutsch.
Jonas Kaufmann, Diana Damrau und der Pianist Helmut Deutsch. © Julia Wesely

München – "Erneuter Aufruhr um Jonas Kaufmann!": So könnte man diese Kritik ankündigen, oder, mehr im Stil einer Komödie des 18. Jahrhunderts: "Der missverstandene April-Scherz". Dieser weniger reißerische Titel wäre sogar passender für das, was am Montagabend in der Isarphilharmonie geschah.

Zwar hat der Münchner Erfahrung mit Eklats, die in nach Flüssen benannten Konzertsälen von Metropolen stattfinden – man denke etwa an das Pressegewitter nach seinem Auftritt in der Elbphilharmonie von 2019 und der danach geführten Diskussion um das Verhältnis zwischen seiner stimmlichen Kondition und der unvorteilhaften Hamburger Raumakustik.

Doch der Krawall vor dem gemeinsamen Liederabend von Kaufmann und Diana Damrau in der Isarphilharmonie hat nichts mit Musik zu tun. Was ist passiert? Der Tenor und die Sopranistin sind schon bei ihrem ersten Auftritt gut gelaunt, kichern, schäkern mit dem Pianisten Helmut Deutsch. Nach dem ersten Gesangsbeitrag, der hymnischen "Zueignung" von Richard Strauss, erklärt Kaufmann mit der Jovialität, wie sie nur Tenören eignet, er habe seinem Sohn versprochen, heute, passend zum Datum, einen April-Scherz zu machen.

Jonas Kaufmann, Diana Damrau und der Pianist Helmut Deutsch.
Jonas Kaufmann, Diana Damrau und der Pianist Helmut Deutsch. © Julia Wesely

"Ihnen ist schon klar, dass Sie hier keine Reden halten dürfen?"

Allein dieser Begriff anscheinend triggert eine Reaktion im Publikum: Eine Hörerin rechts oben beginnt lauthals, in Richtung Bühne zu rufen, man vernimmt unzusammenhängende Worte wie "Professor" und "Tübingen". Kaufmann reagiert unwirsch: "Ihnen ist schon klar, dass Sie hier keine Reden halten dürfen?" Nach einer gefühlten Ewigkeit reagiert der Sicherheitsdienst – und trägt die offenbar verwirrte Frau unter beträchtlicher Gegenwehr und gleichzeitigem erleichterten Applaus aus dem Saal.

Auch Sänger sind Menschen. Kein Wunder also, wenn den folgenden Liedern aus den "Acht Gedichten" op. 10 von Richard Strauss eine gewisse Aufgewühltheit im Vortrag noch anzumerken ist. Doch Jonas Kaufmann beweist die Nervenstärke, für die er bekannt ist, Diana Damrau macht ein paar körperlicher Lockerungsübungen, und für die erhebenden Lieder "Nacht" und "Die Georgine" ist die nötige Ruhe schnell wieder hergestellt.

Jonas Kaufmann in Bestform

Auch in Hinsicht stimmlicher Disposition kann Entwarnung gegeben werden. Kaufmann ist in Bestform, fühlt sich, wie es mittlerweile für ihn typisch ist, pudelwohl in der mittleren und tiefen Lage von "Geduld" aus op. 10 oder im dynamischen Halblaut des "Nachtgangs" aus Straussens op. 29, kann aber im "Liebeshymnus" aus op. 32 sein schön gefärbtes Organ auch mit überlegener Technik in eine anheimelnd leise, flehende Höhe führen.

Jonas Kaufmann, Diana Damrau und der Pianist Helmut Deutsch.
Jonas Kaufmann, Diana Damrau und der Pianist Helmut Deutsch. © Julia Wesely

In den "Rückert-Liedern" von Gustav Mahler besticht seine sprachdeutliche Diktion, der große Gesang "Ich bin der Welt abhandengekommen" wird zu einem Meisterstück, gerade, weil Jonas Kaufmann mit vibratoarmen Spitzentönen im Pianissimo stimmlich viel wagt – und gewinnt, nämlich diskrete, doch höchst emotionale Unmittelbarkeit.

Diana Damrau, die sich den bunten Strauß von Strauss-Miniaturen mit Kaufmann teilt, fühlt sich erwartbar wohl, wenn sie in "Die Zeitlose" aus op. 10 süß von Lilien und Rosen singen oder in "Schlagende Herzen" aus op. 29 auf "Klingklang" tirilieren kann. Momentweise, etwa in "Freundliche Vision" aus op. 48 oder in "Einerlei" aus op. 69, sämtlich von Strauss, schleicht sich zumindest an diesem Abend ein leichtes Flackern des Vibratos oder eine latente Enge in verhaltenen Spitzentönen ein, doch besonders die scherzenden Liedchen aus "Des Knaben Wunderhorn" von Gustav Mahler fließen geläufig aus der Kehle, unterstützt von der mädchenhaft herzigen Mimik, die Diana Damrau zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Über manches begleiterische Laissez-faire des Routiniers am Klavier, Helmut Deutsch, kann man da leicht hinweghören.

Spätestens in den Zugaben, darunter das Duett "Das eine kann ich nicht verzeihen" aus dem Pastiche "Wiener Blut" nach Johann Strauß Sohn und dem hübschen Song "Spring Wind" von Eric Harding Thiman, sind pianistische Pauschalität wie anfängliches Störfeuer aus dem Publikum vergessen.

Man mag darüber streiten, ob man, wie Kaufmann und Damrau, einen seriösen Liederabend mit einem getanzten Walzer beenden sollte. Gute Unterhaltung aber ist das allemal. Oder, spät, aber doch, ein gelungener April-Scherz.

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