Katy Perry in der Olympiahalle: Schmettern auf dem Schmetterling
Es hat sich was angesammelt über die Jahre, Erfahrungen, Songs, (Selbst-)Bilder, so könnte man sagen bei Katy Perry, und dass das alles bei einer Tournee, die sich "The Lifetimes Tour" nennt, in ein einziges Bühnenbild passen soll, erscheint fast unmöglich.
Kein Wunder also, dass eine Ansammlung von Bildschirmen auf der Bühne in der Olympiahalle steht. Es sind um die dreißig, große und kleine – der Blick muss schweifen, um alles zu erfassen. Im Dauerloop laufen Videoschnipsel, in denen Katy mehrfach zu sehen ist, über die Jahre hinweg. 2008 landete sie ihren ersten Hit mit "I Kissed a Girl", lang, lang ist‘s her, da kann man die eigene Karriere schon mal Revue passieren lassen.
Küsse, Haie und Bier
Wobei sich in die Vergangenheit Bilder der Gegenwart mischen. Die Fans tauchen auf den Screens auf, live in der Olympiahalle. Den größten Beifall im Rund gibt es, wenn zu sehen ist, wie zwei sich küssen. Oder wenn jemand ein Hai-Kostüm anhat, in Anspielung auf Katys Auftritt mit "Left Shark" beim Super Bowl 2015. Oder wenn jemand ein Bier ext. So einfach kann Jubel entstehen, und so bombastisch der Abend dann ins Auge und Ohr explodiert – es sind vielleicht die bodenständigen Momente, die am meisten berühren.

Das kühle Künstliche im Gegensatz zum warmen Menschlichen – das ist so ein Thema, das das ganze Konzert durchzieht. Nachdem die britische Popsängerin Becky Hill, selbst ein aufsteigender Star, eine halbe Stunde performed hat, brechen die hochauflösend animierten Bilder eines Videospiels auf das Publikum ein. In nicht allzu ferner Zukunft steht die Welt vor dem Abgrund, die Schmetterlinge sind verschwunden, eine künstliche Intelligenz namens Mainframe lädt zum Kampf in einen von ihr geschaffenen Kosmos ein. Und die Gladiatorin, die das Spiel über mehrere Levels spielen wird, ist: Katy Perry.
Gefangen im Algorithmus
Im futuristischen Androiden-Look steigt sie aus dem Untergrund der Bühnenmitte hervor, schwebt durch drei galaktische Ringe in die Höhe und singt "Artificial", ein Song von ihrem neuen Album "143". Der Titel des Albums bezieht sich auf die Nummernkombination, die man in den 90ern in sein Mobiltelefon tippte, um dem anderen in aller Kürze ein "I love you" zu schicken. Das Lied stellt die Frage nach dem Echten im anderen, der einen gefangen hält: "I’m just a prisoner in your prison, you got me hooked in your algorithm."

Katy ist bei diesem Konzert nicht nur Katy, sondern auch KP143, eine Roboterfrau im Auftrag der Liebe, und so bewusst artifiziell der erste Song daherkommt, einen Elektro-Pop-Sound etabliert, der den Raum fast über den ganzen Abend hinweg so erfüllt, dass man selbst gefangen darin ist, so lebendig wird das Konzert doch. Weil Katy mit ihrer Band und ihren zehn Tänzern nicht nur professionell-maschinell, sondern ganz spielerisch ihr gemeinsames Ding macht. Weil sie den Ernst der Computerspielwelt-Lage mit heiterem Blödsinn durchbricht, überbordend die Kostüme, spektakulär die zirzensischen Ausflüge.
Das deutsche Internet macht nicht mit
"I want something really ridiculous", sagt Perry, als sie mehrere Fans für ein Lied auf die Bühne holt. Immerhin ist ja auch Halloween, da sollte es doch ein paar "lächerliche" Kostüme geben. Tatsächlich findet sie neben zwei 12-jährigen Mädchen im Cheerleader-Look und einer Dragqueen, die sich als Popcorn-Tüte verkleidet hat, zwei Jungs im Kürbis-Outfit. Das Quintett darf die Rhythmus-Eier schütteln, während Katy zusammen mit ihren beiden Solistinnen, die eine an der Gitarre, die andere am Keyboard, "The One that Got Away" spielt und singt. Ein schöner Moment, intimer, musikalisch etwas filigraner.
Zuvor spielte Perry Album-Roulette, das Zufallslos fiel auf "Prism", ihr viertes Album, und das Publikum sollte bestimmen, welche Lieder daraus gespielt werden. Nur leider funktionierte der QR-Code, den sie abscannen sollten, nicht. "Kein Internet – in Deutschland?" Über solche Momente geht Katy Perry locker hinweg und nimmt sich "Double Rainbow" vor, eine der seltenen Balladen des Abends, ebenfalls ein Höhepunkt.

Ob es den ganzen, auch visuellen Bombast braucht, darf man bezweifeln, aber in dem Videospiel, das Katy Level für Level überstehen muss, steckt nun mal die zentrale Botschaft des Abends. Den bösen Mainframe, die Künstliche Intelligenz, besiegt sie am Schluss und sprengt davor schon genüsslich den Rahmen einer patriarchalischen Welt.
Ritt auf dem Schmetterling
Ob sie kopfüber in einer Kugel mitsamt ihren Tänzern in der Luft hängt, während einer der Tänzer sich unten an der Kugel festhält und sich wie an einem Trapez dreht; ob sie alleine auf dem Bühnensteg, der in seiner Achter-Form ein Unendlichkeitszeichen darstellt, ein paar Runden rennt oder mit dem Rücken zum Publikum mit ihrem Po offensiv wackelt – Katy Perry wirkt stets selbstmächtig, hat sich, ihre Crew, die Halle unter Kontrolle, herrscht aber so großzügig und gut gelaunt, dass man zwangsläufig angesteckt wird.
"Woman’s World", so heißt ein Song und auch ein Level, das sie spielt. Eine mächtige Frauenstatue, die eine Kugel, wohl die Welt hält, taucht dazu auf der Bühne auf. Katy singt Hits wie "Teenage Dream", wobei sie weiß, dass das mittlerweile ein nostalgischer Song ist. "So, you still like me?", fragt sie das Publikum. "But I have to warn you: I am 41 years old!" Jubel in der Halle. Und sie fügt hinzu: "41 is fabulous". Zu all den Rollen, die sie spielt – Künstlerin, Kämpferin, Kumpelin –, ist die der Mutter hinzugekommen. Eine fünfjährige Tochter hat sie, das Kind möchte ständig "Peacock" von ihr hören, was einer der offensiv-erotischsten Titel ist: "I wanna see your peacock-cock-cock". Katy singt das Lied nur kurz an.

Und bietet ansonsten wuchtiges Family-Entertainment, in dem fast alle Hits ihren Platz haben. Gegen Ende reitet sie auf einem grausilbernen Schmetterling durch die Luft, kreist durch die Halle, während sie "Roar" schmettert. Zum Finale gibt es "Fireworks", der am sehnlichsten erwartete Hit, vom Bühnenhimmel regnet es Schmetterling-Konfetti. Die Schmetterlinge wurden also befreit, das Publikum auch, zumindest für zweieinhalb Stunden von allen Alltagssorgen. Mission erfüllt. Katy verschwindet im Bühnenboden. Mancher männliche Fan beneidet vielleicht für einen Moment Justin Trudeau, sammelt einen Papierschmetterling auf und wandert zur Herrentoilette, wo bunt kostümierte Jungs und sich selbstbewusst einschmuggelnde Mädchen einträchtig in der Schlange warten.
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