Jörg Widmann dirgiert das MKO
Er liebt Superlative. Für Jörg Widmann ist ein Stück immer - mindestens - großartig, wenn nicht fantastisch, aber doch auf jeden Fall eines der besten Werke des Jahrhunderts oder gar der Musikgeschichte. Über solche Emphase kann man leicht spotten. Wichtiger ist aber, dass der Komponist und Klarinettist seine Begeisterung auch vermitteln kann: in einer kleinen Ansprache vor Erich Wolfgang Korngolds "Sinfonische Serenade" dem Publikum und - noch wichtiger - als Dirigent den Musikerinnen und Musikern des Münchener Kammerorchesters.
Widmann begann mit der Streichersinfonie Nr. 19 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Der abgründige, düstere Beginn war sehr genau und rhetorisch ausgehört, der schnelle Satz mit dem wilden, überstürzten Finale erinnerte an das Saison-Motto "Furor". Trotz einiger etwas blasserer Passagen im weiteren Verlauf holt Widmann aus Mendelssohns Musik letzte Energien heraus, ohne dass das irgendwie übertrieben wirken würde. Und das ist angesichts der vorherrschenden Mendelssohn-Klischees noch immer eine Großtat.
Furios ging es weiter: mit einem Jugendwerk des Komponisten Widmann, dem minimalistischen und rhythmusverliebten Streichersextett "180 Beats per minute". Ja, der so bildungs- und traditionstrunkene Komponist hätte auch ein deutscher John Adams mit Grenzüberschreitungen in den Popbereich werden können. Wenn er gewollt hätte. Aber er wollte nicht, und auch diese Entscheidung hat manches für sich.
Widmann ist bekanntlich nicht nur Komponist und Dirigent, sondern auch ein herausragend guter Solist. Diesmal spielte er Carl Maria von Webers Klarinettenquintett in B-Dur. Es ist vom Komponisten bereits so orchestral angelegt, dass die Bearbeitung für Streichorchester so natürlich wie ein Original klingt.
Korngolds Serenade - eine Entdeckung!
Widmann sang wie ein Belcantist auf seinem Instrument, mal sanft und leise, mal hochdramatisch wie eine Koloratursopranistin im Passagenfeuerwerk des Finales. Den ruhigen Kontrast dazu nach der Pause Widmanns "Insel der Sirenen" für Solo-Violine und Streicher - ein Stück, das in allerhöchsten Noten, Geräuschen und Echos schwelgt. Dann zuletzt Korngolds "Sinfonische Serenade", die mit Blick auf eine Großbesetzung und den Klang der Wiener Philharmoniker entstand. Das Stück kann aber auch mit einem Drittel der geforderten Musikerinnen und Musiker seinen Standort zwischen Mahler und dem späten Richard Strauss deutlich machen.
Die Stimmung schwankt zwischen Virtuosität, Wohllaut und abgründig fahlen Klängen im langsamen Satz, dem wohl stärksten Teil. Und ja, Widmann hat recht: Die 1951 uraufgeführte "Sinfonische Serenade" gehört öfter gespielt - als Pflichtstück für alle Konzertplaner, die das Publikum mit der x-ten Aufführung von Schönbergs "Verklärter Nacht" oder den "Metamorphosen" von Richard Strauss langweilen.

Mit diesen Werken kann Korngolds "Serenade" mühelos mithalten, nein, es übertrifft sie mindestens im langsamen Satz und dem Pizzikato-Scherzo, das den Klang eines Streichorchesters ausreizt. Solche Entdeckungen sind ein Reiz der Konzerte des Münchener Kammerorchesters, das durch Widmann besonders animiert wirkt. Und dass - mit Ausnahme der Solo-Klarinette - auf Bläser ganz verzichtet wurde, dürfte bei all der klanglichen Abwechslung auch niemandem aufgefallen sein. Aber auch das ist eine Stärke von Widmann als "Associated Conductor" des Orchesters, dass er die Stammbesetzung wertschätzt und jeden einzelnen Musiker als Kollegen ernst nimmt.
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