Joe Cocker: Wie er seine Sucht überlebte
London - Würde man den Ton abdrehen, müsste man mit dem Typen auf den Bühne Mitleid haben: Ein alter Mann, schütteres Haar, Bauchansatz, die Augen geschlossen. Er steht starr da, nur seine Arme bewegen sich seltsam verkrampft, als hätte er die Kontrolle über sich verloren. Doch mit Ton fügt sich alles zu einer einzigartigen Choreografie. Die Musik, sein Rhythmus und eine Stimme, wie es sie kein zweites Mal auf dieser Welt gibt: kraftvoll und sanft, rau, rauchig und voller Zärtlichkeit, wenn er höhere Töne anschlägt. So singt nur einer - Joe Cocker. Am heutigen 20. Mai wird das Urgestein der Rock- und Bluesszene 70 Jahre alt.
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Der gelernte Gasinstallateur aus der englischen Industriestadt Sheffield wurde weniger mit eigenen Songs als mit Coverversionen weltberühmt. Unvergessen ist sein Auftritt beim Woodstock Festival im August 1962, als er dem Beatles-Hit "With a Little Help from My Friends" eine vibrierende Seelentiefe gab. Joe Cocker hauchte sie dem Erfolgssong nicht ein, er krächzte und schrie dem Publikum seine Gefühle entgegen und drosch mit bloßen Händen auf eine imaginäre Gitarre ein. Von da an hatte er seine Performance für die nächsten 50 Jahre gefunden, von da an war er ein Star.
Er machte "Unchain My Heart" (von Trini Lopez) und "Summer In The City" (Lovin Spoonful) zu großartigen Klangerlebnissen und Welthits. Randy Newmans Lied "You Can Leave Your Hat On" wurde durch Joe's Interpretation für den Film "9 ½ Wochen" zur internationalen Striptease-Hymne. Mit Billy Prestons Ballade "You're So Beautiful" rührte Cocker das Publikum zu Tränen, und für "Up Where We Belong" - im Duett mit Jennifer Warnes - bekam er 1983 den Grammy Award.
Es gab allerdings auch den anderen Joe Cocker. Den unkontrollierten und unkontrollierbaren Junkie und Säufer, der sturzbetrunken auf die Bühne wankte, wenn er denn kam... Oft schrien Tausende seiner Fans vergeblich im Chor: "Joe, trink aus und komm raus!" Das begann Mitte der 1970er-Jahre, und Joe Cocker schien einem unausweichlichen Ende entgegen zu taumeln.
Er selbst bekannte in mehreren Interviews: "Erst als ich Anfang 50 war, machte ich mir langsam Sorgen. Ich trank alleine, musste saufen. Die Leute hatten Angst vor mir. Ich habe oft die ganze Nacht hindurch gesoffen. So lange, bis ich bewusstlos war... Und wenn du erst mal in dieser Abwärtsspirale bist, dann ist es schwierig, da wieder rauszukommen. Ich brauchte Jahre, das zu schaffen."
Vermutlich hätte er es ohne seine amerikanische Frau Pam Baker, eine Erzieherin, die er 1987 heiratete, nicht geschafft. Seither lebt er mit ihr auf der abgeschiedenen Mad Dog Ranch beim 500-Seelen-Nest Crawford im US-Staat Colorado. "Mein Haus hat sechs Schlafzimmer. Wenn die Tochter und Enkel meiner Frau kommen, verziehe ich mich in meine Räume. Die anderen dürfen ja noch trinken! Da sitze ich dann und denke: Dass ich nicht saufen darf, ist die Strafe Gottes!"
2007 wurde der ehemalige Blues-Rüpel von Königin englische Queen zum "Officer of the Order of the British Empire" ernannt. Er erinnert sich an die feierliche Zeremonie so: " Da sagte ihr Mann Philip zu mir: 'Ist ja ein Wunder, dass Sie überhaupt noch sprechen können!' Er meinte wohl meine rauchige Stimme. Ich habe das mal als Kompliment gesehen."
Vor vier Jahren hatte Joe Cocker einen leichten Schlaganfall erlitten. Er kam wieder auf die Füße und hat 2012 mit "Fire It Up" sein 23. Album präsentiert. Joe gehört nach so vielen Jahren, Erfolgen und Skandalen zu den Unvergessenen der Rockmusik, gemäß seiner wundervollen Ballade "N'oubliez jamais", in der es heißt: "Sing dein eigenes Lied und vergiss niemals."
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