Jewgenij Kissin und die Huster
Jewgenij Kissin spielt Mozart, Beethoven, Brahms und Albeniz in der Philharmonie
Manche glauben tatsächlich an die heilende Kraft der Musik. Sie gehen erkältet in einen Klavierabend, in der Hoffnung, ihn genesen verlassen zu dürfen. Dagegen ist nichts zu sagen. Warum es aber der Heilung abträglich ist, sich ein Taschentuch zwecks Dämpfung vor den Mund zu halten, wird ein ewiges Rätsel der Menschheit bleiben.
Dergleichen geht einem durch den Kopf, wenn Jewgenij Kissin am Anfang seines Klavierabends im Gasteig Mozarts Sonate KV 330 spielt. Das Allegro moderato perlt gleichmütig. Erst im Mittelsatz entdeckt der Pianist eine pochende Unruhe in den Bässen. Dem folgt wieder eine Einheits-Heiterkeit mit ein paar subjektiven und zugleich vorhersehbaren Tempo-Rückungen, wie sie russische Interpreten bei Mozart lieben.
Den Hustenreiz im Gasteig vermochte diese Darbietung noch nicht zu bannen. Erst bei Beethovens Appassionata op. 57 wurde es ruhiger. Die spielt Kissin als manisch-depressive Studie ganz auf schroffe Gegensätze bedacht. Die vierte Variation im langsamen Satz ist ein heftiger, wilder Ausbruch. Das Finale läuft ganz auf die furiose Schluss-Stretta zu. Der Pianist inszeniert kein Drama der Themen, sondern einen Thriller, bei dem das Pedal für das im Gasteig angemessene Breitwandformat sorgt.
Besonders natürlich wirkt Kissins Auseinandersetzung mit dieser Musik nicht. Die drei Intermezzi von Brahms spielt er viel zurückhaltender. Dann vermochte die spanische Sonne, was Mozart noch misslang: Sie heilte auch noch den letzten Erkälteten.
Bei stilisierter Folklore von Isaac Albeniz und Joaquin Larregla kam Kissin ganz zu sich. Diese Musik spielt er rhythmisch streng und kristallklar, hell und heiter. Und im Gegensatz zur Appassionata auch frei und gänzlich ungezwungen. Und da bedauert man schon, dass dieser große Pianist in der kommenden Saison eine Sabbatical-Pause einlegt.