Ivan Repusic dirigiert "Luisa Miller"
Erst Auftrittsapplaus für den Chor des Bayerischen Rundfunks. Dann das Münchner Rundfunkorchester: Noch einmal Applaus. Nach dem Stimmen der Instrumente Applaus für den Dirigenten. Nach der Ouvertüre wird der Solo-Klarinettist beklatscht. Nach einer weiteren Kunstpause Applaus für die Sänger im Abendkleid. Und nun kann Verdis „Luisa Miller“ endlich beginnen.
Konzertante Opernaufführungen sind umständlicher als das byzantinische Hofzeremoniell. Wer, wie das Münchner Rundfunkorchester, diese Form als Kerngeschäft versteht, sollte diese Abläufe entschlacken. Und mal schauen, wie die Kollegen vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks so etwas regeln.
Man muss Opern ohne Bühne nicht mit Theaterküssen, Umarmungen oder gar Kostümen halbszenisch aufpeppen. Aber wenigstens die Zielgruppe dieses trimedialen Projekts sollte geklärt werden: das Publikum im Saal? Die Hörer im Radio? Zuschauer im Livestream? Oder doch nur ein allmächtiger Toningenieur hinter dem Aufnahmemikrofon?
Vital, rubust und feurig
Die Frage stellt sich auch, weil der neue Chefdirigent Ivan Repusic einen echten Theater-Verdi dirigiert: vital, robust, feurig und lebendig. In einem Opernhaus und aus dem Orchestergraben wäre das hinreißend. Unter dem Vergrößerungsglas einer konzertanten Aufführung fragt man sich allerdings: Muss wirklich mit Vollgas und der Sensibilität einer Dampfwalze über jede Dolcissimo-Vorschrift hinwegfegt werden? Es mag ja sein, dass Verdi Pianissimo in die Partitur geschrieben hat, um wenigstens ein Mezzoforte zu erhalten. Aber hier bekam er nicht einmal das – besonders krass in Millers Cabaletta und im Quartett.
Aber eigentlich war es der Dauerzustand. Schon in der Ouvertüre zu dieser Oper frei nach Schillers „Kabale und Liebe“ dominierte die rustikale Kraft. Die (kurze) Bühnenmusik wurde im Orchester gespielt, ein Chor mit Raumklang-Effekten einfach frontal gesungen. Das sind, gewiss, Kleinigkeiten. Aber bei einer konzertanten Aufführung müsste die von der Bühne befreite Partitur im Mittelpunkt stehen und nicht von neuen Sachzwängen eingehegt werden.
Repusic treibt dem frühen Verdi jede Erinnerung an Bellini und Donizetti aus. Sein Ideal ist eher der muskuläre Gesangs- und Interpretationsstil des Verismo. Ivan Magri, ein Sizilianer, macht aus dem Rodolfo den kleinen Bruder von Turridú. Die beiden Vater-Figuren waren von der Stimmfarbe sorgfältig abgesetzt: George Petean sang den Miller mit einem weicheren Bariton als der dunkler timbrierte Marko Mimica als Graf von Walter. Noch eine Stufe böser und schwärzer lieh Ante Jerkunica dem Wurm seinen Charakterbass. Alle drei prunkten mit viel Kraft.
Kalte Pracht
Marina Rebeka, in dieser Saison Artist in Residence des Rundfunkorchesters, singt mit blitzendem Metall. Auch wenn sie Triller allenfalls andeutet, bleiben technisch keine Wünsche offen. Aber es mangelt ihr an gestalterischer Glaubwürdigkeit: Was mit Luisa in dieser Oper passiert, teilt sich nicht mit. Ihre kalte Stimmpracht wäre in einer Seria von Rossini viel besser aufgehoben. Und einen Charakter stellt die Lettin leider nicht auf die Klang-Bühne. Das schaffen Judit Kutasi (Federica) und Corinna Scheurle (Laura) in den Nebenrollen mühelos.
Naturgemäß zeigte sich das Rundfunkorchester beim Antrittskonzert des neuen Chefs von seiner besten Seite. Der Klang ist rund und schön. Und alles war auch ein wenig mehr beisammen als zuletzt in den immer etwas improvisiert wirkenden Aufführungen seines Vorgängers Ulf Schirmer.
Der aus dem kroatischen Zadar stammende Generalmusikdirektor aus Hannover bringt fraglos Leben in die Bude. Aber zu Pietro Mascagni oder einem martialischen Verdi-Frühwerk wie „Attila“ oder „La battaglia di Legnago“ hätte sein Ansatz auch besser gepasst. Das wären Opern, die noch zu entdecken wären – im Unterschied zu „Luisa Miller“, die am Gärtnerplatz- und Nationaltheater bereits auf ihren Repertoirewert überprüft wurde. Und etwas aufregender als diese grob gewirkte Verdi-Meterware wären sie auch.
Eine Aufzeichnung der Aufführung im Internet bei www.br-klassik.de. Das Rundfunkorchester hat mit Marina Rebeka die CD „Amor fatale“ mit Werken von Rossini eingespielt