In Extremo: "Bei uns wird nicht nach Stechuhr aufgestanden"
In Extremo passen eigentlich nicht in den Mainstream. Trotzdem oder deswegen: Mit ihren anachronistischen mittelalterlichen Rock-Klängen stürmt die Band regelmäßig die Charts. Mit spot on news spricht Harfist André Strugala über kleine Gaunereien aus der Bandgeschichte, ungebrochene "Feierwütigkeit" - und ausnahmsweise auch über Missstände im Land.
Ein paar Ausnahmeerscheinungen gibt es immer wieder in den deutschen Charts - zu denen zählen seit Jahren auch In Extremo. Die siebenköpfige Band hat es sich in den Toplisten mit ihrem mittelalterlich angehauchten Rocksound zwischen Dance- und Casting-Pop-Acts bequem gemacht: Ihre beiden Alben "Sængerkrieg" und "Sterneneisen" schafften es auf Platz eins - und wenn nichts außergewöhnliches passiert, wird auch die am Freitag veröffentlichte neue Platte "Kunstraub" dort auftauchen.
Den Durchbruch schafften In Extremo im Jahr 1999 mit dem Album "Verehrt und angespien"
Was macht die Band und ihren Sound so reizvoll? Vielleicht, dass die Musik von In Extremo eine "Flucht" aus der Realität ermöglichen soll, wie Harfist und Sackpfeifenspieler André Strugala alias "Dr. Pymonte" im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news bestätigt. Auf jeden Fall handelt es sich bei den Musikern um echte Paradiesvögel im Musikbusiness - einige von ihnen spielten schon in der DDR als Straßenmusiker; später begann die Band ihre Karriere auf Mittelalter-Märkten. Einen eigenen Blick auf Geschäft und Job, aber auch ihre "Feierwütigkeit" haben In Extremo über die Jahre nicht verloren, wie Strugala im Gespräch erzählt.
Das neue Album steht gerade frisch in den Läden - und es trägt den eigenwilligen Titel "Kunstraub". Wie kam es dazu?
André Strugala: "Kunstraub" ist erstmal ein sehr eingängiges Wort - und es beinhaltet auch ein wenig das Lebensgefühl von In Extremo. Wir waren hellauf begeistert, als wir von diesem Kunstraub in Rotterdam gehört haben. Dass dort im Zeitalter von Panzerglas und Polizeieskorten mit Pump Guns, von Alarmanlagen und Hochsicherheitstechnik ein paar Typen reinmarschieren und binnen drei Minuten mit einem Schraubenzieher sieben Gemälde klarmachen, das fanden wir großartig. Das hätten wir sein können. Ich meine diese Ganovenverschmitzheit, die Eleganz an einem Raub.
Wie sieht denn die "Ganovenverschmitztheit" von In Extremo aus?
Strugala: Unsere Ganovenverschmitztheit? Die war in den Zeiten, als In Extremo im Aufbruch war, schon eine ähnliche. Wir hatten nichts zu tun, sind zu irgendwelchen Veranstaltungen gefahren und haben gesagt "Wir wurden hier bestellt heute." Wir haben einfach gespielt und uns ganz dreist auch einquartiert, haben Essen verlangt - und natürlich auch Gage nachher. Die haben alle ein bisschen dämlich geguckt - aber solche Sachen sind tatsächlich vorgekommen!
Starke Geschichte!
Strugala: Ja, auf jeden Fall. Das war schon dreist und "spielmännisch". Und das ist auch so das Lebensgefühl: Dass man schaut, dass man gewisse Leute ein bisschen austrickst, aber dabei nie wirklich menschlich bösartig wird. Dass dabei nie jemand zu Schaden kommt.
Sie haben schon das "Spielmännische" genannt - die Band ist musikalisch dem Mittelalterlichen verhaftet. Was fasziniert Sie an dieser Epoche?
Strugala: Eigentlich ist es genau das Ungebundensein der Spielleute. Das waren die, die sich in dieser feudalistisch geprägten Zeit am freiesten und am dreistesten bewegen konnten. Es gab keine Medien, und das waren die Leute, die für den Transport der Nachrichten zuständig waren. Sie waren deswegen auch gesellschaftlich anerkannt und durften einiges, was andere nicht durften. Wir selbst sind ja auch nicht gerade sehr stetige Menschen. Wir haben alle ein Privatleben. Aber, und da sind sich alle sieben Musiker bei uns einig: Wenn man mal vier Wochen zu Hause hockt, dann ist es auch verdammt Zeit, wieder auf die Bühne zu gehen. Das meint dieses Gefühl, das uns mit dem Mittelalter verbindet.
In einem anderen Interview haben Sie gesagt, Sie wären alle sieben nicht wirklich "lebenskonform". Was ist damit gemeint?
Strugala: Schau dir den Normalbürger an. Das wird auch immer verrückter in diesem Land. Manche Leute können nicht mal mehr von normaler Arbeit leben. Die stehen morgens auf, gehen dem ersten Job nach und abends dem zweiten. Die sind dadurch natürlich auch gebunden, an bestimmte Orte, an bestimmte Zeiten und können nicht so frei leben, wie wir das tun. Das ist ja nicht nur die Tour, sondern auch das Aufnehmen. Bei uns gibt's das nicht, dass morgens um sieben pünktlich mit der Stechuhr aufgestanden wird. Stellenweise wird dann nachmittags um drei, um vier eingetrudelt - und dann geht's auch bis nachts um eins. Wir leben im Grunde genommen nicht nach äußeren Regeln, sondern nach Regeln, die eine innere Uhr bei uns bestimmt.
Das klingt ziemlich angenehm.
Strugala: Ich würde mich, glaube ich, auch nicht so wohlfühlen, wenn ich in dieser Tretmühle wäre. Morgens um sieben irgendwo stehen und mich anratzen lassen und dann auch noch einen Buckel machen zu müssen, weil ich auf das Geld angewiesen bin. Was ich damit sagen will ist: Da hat eine verdammt beschissene Entwicklung in der Gesellschaft stattgefunden - ehrliche Arbeit ist in diesem Land gar nichts mehr wert. Es gibt Leute, die buckeln und buckeln und buckeln und kommen mit dem Arsch nicht an die Wand. Sondern müssen los und Hartz IV beantragen und sich von Ämtern in die Tasche gucken lassen. Das ist furchtbar, was sich hier teilweise entwickelt.
Die meisten Bandmitglieder sind in der DDR aufgewachsen - da war es für Musiker und Musikliebhaber natürlich auch nicht gerade leicht.
Strugala: Das stimmt schon. Aber ich muss mal sagen - ohne politisch werden zu wollen: Das war nicht ganz so hochtechnologisiert und durchleuchtet, wie das heute dargestellt wird. In der DDR musste man einer regulären Arbeit nachgehen und irgendwo gemeldet sein, sonst hätte man als asozial gegolten. Aber es gab ganz viele Schlupflöcher. Es gab Scheinanstellungen - und man hat da mit Musik ganz viel seinen Lebensunterhalt verdienen können. Wenn man heute nicht so organisiert ist wie eine professionelle Rockband, dann ist es ein verdammt hartes Brot, Musiker zu sein.
Zu den professionell organisierten Rockbands gehören In Extremo mittlerweile auf jeden Fall. Sie sind auch bekannt dafür, gerne mal Pyrotechnik einzusetzen. Ist das für Sie etwas, dass der Musik eine zusätzliche Dimension gibt, oder einfach zusätzliches Futter für das Auge?
Strugala: Sowohl als auch. Wir fanden, dass es sowieso etwas hat, das Thema Mittelalter mit Feuer zu verbinden. Und dann finden wir, dass man mit Pyrotechnik, wenn sie professionell gemacht wird, bestimmte Passagen oder Textstellen unglaublich gut akzentuieren und hervorheben kann. Das ist natürlich auch kostenintensiv, und da wird auch immer mal gemault "40 Euro für eine Karte". Aber wir stellen auch fest, dass die Leute das geil finden. Die lassen sich verzaubern und für diese zwei Stunden entführen und saugen das mit auf.
Ist das auch das, was Sie erreichen wollen? Den Leuten so etwas wie eine Flucht erlauben?
Strugala: Genau. Man kann auf einem In-Extremo-Konzert die Tür hinter sich zumachen, dem Alltag entfliehen und mit uns auf eine Art Reise gehen. Das ist eigentlich auch, was wir damit meinen.
Sie haben früher häufiger auch mal Clubkonzerte gespielt und auf die Pyrotechnik verzichtet. Ist sowas auch wieder einmal geplant?
Strugala: Geplant ist es jetzt erstmal nicht. Allerdings machen wir vor der Tour ein paar Warm-Up-Konzerte, in Warschau, in Tschechien. Die sind im kleinen Rahmen und auch ohne Pyrotechnik. Es ist schön zu beobachten, dass diese Musik auch ohne Pyrotechnik funktioniert. Deswegen machen wir das gelegentlich auch. Da hast du einen direkten Kontakt zum Publikum, bist nicht durch einen Graben getrennt. Das ist alles nicht so groß, du trinkst nachher auch ein Bier mit den Fans. Das finden wir eigentlich ganz witzig.
Stichwort Bier nach dem Konzert: Sind In Extremo eine Band, die auf Tour immer noch feiern geht?
Strugala: Definitiv! Das hat eigenartigerweise nach wie vor nicht nachgelassen. Und man wundert sich, dass die Herren jetzt Mitte 40 sind, fast schon auf die 50 zugehen und immer noch so feierwütig sind. Das ist schon beeindruckend bei uns.