Im Rokoko-Garten allzu menschlicher Gefühle

Mozarts „Figaro” in einer wunderbar schlanken Produktion im Cuvilliéstheater
von  Christa Sigg

Der Herr Graf hat schon raffiniertestes Rokoko vor sich – elegante Atlanten und putzige Putten, allerlei Lüster, Girlanden und Rocaillen. Was braucht er da noch eine überbordende Bühne? Und tatsächlich, Regisseur Frank Siebenschuh zeigt mit seiner geradezu diätischen Inszenierung von „Le Nozze di Figaro“, dass es auch ohne Fett geht. Drei weiße Stoffrahmen als Türen, sechs grün angepinselte Sperrholzquader auf Rädern und ein anständiges Schnupftuch reichen, um mit Mozarts Commedia in musica dreieinhalb launig-spritzige Opernstunden hinzulegen.

Wobei man eins nicht vergessen darf: Siebenschuh hat ein Händchen für sein Personal. Minutiös wurde da gearbeitet, manches sogar ein bisschen überzogen, was wahrscheinlich mehr am Spieltrieb der Sänger, denn am Regisseur lag. Aber wie der aufgeblasen-imposante Bartolo (Raphael Sigling) seine Noch-Klientin Marcellina (Christine Klein) in Prozess-Positur wirft, hat herrlich rhythmischen Witz. Da muss sich der Hochzeiter schon ins Zeug legen. Und wäre Katja Stuber als charmante Susanna (mit geschmackvollem biegsamen Sopran) nicht auch eine formidable Anschieberin, ihr etwas steifer Figaro (Manfred Bittner) könnte glatt im Hofkontor enden, statt doch noch ein paar Strippen zu ziehen.

Almaviva als blässlicher Vollbartschnösel im roten Anzug, scheint einem Modemagazin entsprungen. Signor Conte – Günter Papendell singt ihn mit immer wieder markig auftrumpfendem Bariton – ist vielleicht die aktuellste Figur im Spiel um Liebe, Macht und Eifersucht. Er würde sich prima machen in einer trendigen Werbeagentur mit allzu gierigen kleinen Praktikantinnen, die dem cholerisch aufbrausenden Boss natürlich an den Lippen hängen. Man muss nicht zurück in die Zeit spätabsolutistisch-feudalherrschaftlicher Umtriebigkeiten samt Jus primae noctis, also dem Recht des Lehnsherrn auf die erste Nacht, um zu demonstrieren: Wer am Drücker sitzt, bekommt seinen Sex. Wenn’s sein muss, noch auf dem Tablett serviert.

Dass der Graf seiner arg larmoyanten Contessa (Susanne Winter) auch nach diesem „tollen Tag“ die kalte Schulter zeigen wird, um nach jungen Gespielinnen zu greifen, ist so gewiss wie die täppische Untreue des hormondurchspülten Cherubino (Sonja Leutwyler) – und die Tatsache, dass Mozart bei aller Verve, allem Esprit erst recht an die Nieren geht, wenn aus dem Graben trocken-knarziger Originalklang staubt. Oder in diesem Fall: eine Lust-Truppe wie das Ensemble La Banda losschrubbt, im Zaum gehalten von einem wie Philipp Amelung, der im rechten Moment weiß, was seine Sänger brauchen. Und manchmal sogar noch mehr Zunder geben dürfte.

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