Höllisch gutes Dauerfeuer

Eine Meisterleistung: Bernd Alois Zimmermanns moderner Opern-Klassiker „Die Soldaten” bei den Salzburger Festspielen, dirgiert von Ingo Metzmacher und inszeniert von Alvis Hermanis
Robert Braunmüller |
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Am Schluss gellen eigentlich militärische Kommandos in verschiedenen Sprachen. Vom Tonband rasseln Panzerketten, deren Dauer und Lautstärke auf die Sechzehntelnote genau in der Partitur notiert sind. Elektronische Klänge treten hinzu, ehe Welt und Menschheit den Atomtod sterben.

In der Salzburger Neuinszenierung von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ fehlt dies alles. Die Geräusche, vom Komponisten zur gleichberechtigten Musik neben dem Gesang und den Instrumenten des Orchesters aufgewertet, lässt der Dirigent Ingo Metzmacher einfach weg. Das ist ein schwerwiegender Eingriff – als würde Beethovens Fünfte ohne drei Posaunen und die Piccoloflöte aufgeführt.

Manchmal ist weniger aber auch mehr. Zimmermann wollte mit dem Kriegslärm samt Filmeinblendungen die Verführung und Vergewaltigung von Marie durch gelangweilte Soldaten ins Überzeitliche steigern. Metzmacher zielt auf den menschlichen Kern der Vertonung des Dramas von Jakob Michael Reinhold Lenz. Er entledigt sich der gealterten Avantgarde-Stilmittel aus den 1960er Jahren und nähert die „Soldaten“ der guten alten Oper wieder an.

Darüber ließe sich in Seminaren trefflich streiten, aber es passt hervorragend zur Inszenierung des Regisseurs Alvis Hermanis. Die enthält sich jeder Aktualisierung und spielt in einer diffusen Zeit vor 1914, in der die für die Handlung zentralen Standesschranken noch nicht niedergerissen waren. Ohne Stahlhelme, Maschinengewehre und moderne Brutalität trifft die Aufführung jene Stimmung der Etappen-Eintönigkeit, aus der hier Unheil entwächst. Man riecht förmlich den Männerschweiß.

Am katastrophischen Charakter des Geschehens lässt die in ihren Mitteln maßlose Musik ohnehin von der ersten Sekunde an keinen Zweifel. Die bei Aufführungen der „Soldaten“ in Guckkastentheatern normalerweise von außen eingespielten Schlagzeuger sitzen seitlich über dem Orchester – ihr Klang wird körperlich spürbar und bedrohlich. Die Härte der Musik verheimlicht diese grandiose Aufführung mit den Wiener Philharmonikern nicht. Die filigranen, oft nur von Gitarre und Cembalo begleiteten Passagen gehen trotzdem nicht unter. Und dank der Tradition des Orchesters wird die nahe Verwandtschaft dieser Oper mit Alban Bergs „Wozzeck“ ohrenfälliger als je zuvor.

Gewisse Abstriche sind leider beim Gesang zu machen. Daniel Brenna verwandelt den Desportes in einen Verwandten des Tambourmajors – frühere Sänger dieser schwierigen Rolle brachten auch das schillernd Verführerische heraus. Brenna ist leider nur brachial. Auch Laura Aikins Marie bleibt als Figur etwas blass. Eindrucksvoll der Seiltanz ihres Doubles zu dem Orchester-Zwischenspiel, das einen Bach-Choral dekonsturiert. Außerdem gibt es hervorragende Chargen wie Alfred Muff (Wesener) und Gabriela Benackova als Gräfin de la Roche.

Die Aufführung wurde vom – normalerweise schnell zum Nachtmahl eilenden – Salzburger Publikum wie eine Vorstellung von „La Bohème“ bejubelt. Darüber ließe sich bei einem einstigen Avantgardewerk leicht spotten. Wir loben lieber. Denn die „Soldaten“ sind die einzige Opernaufführung der diesjährigen Salzburger Festspiele, die man zahlungskräftigen Münchnern vorbehaltlos empfehlen kann. Karten für dieses Meisterwerk des vorigen Jahrhunderts gibt’s auch noch.

Wieder heute und am 24., 26., 28. August in der Felsenreitschule. Karten:  0043 662 8045 500 oder www.salzburgfestival.at

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