Hits wie Diamanten
Er hätte Arzt werden können, sagt Neil Diamond hin und wieder kokett. Hätte er sich nur mehr angestrengt und wäre ihm nicht das Songwriting in die Quere gekommen – dann wäre er heute möglicherweise Doktor. Nun, man kann sein Leben auf viele Arten verpfuschen. Neil Diamond hat diejenige gewählt, bei der einem 11.000 Menschen in der Münchner Olympiahalle zu Füßen liegen.
Bevor die dem Weltstar zujubeln können, warnt eine Stimme eindringlich via Lautsprecher: Gleich werde das Saallicht „abrupt“ abgeschaltet – jetzt alle schnell und sicher zu den Sitzen! Oje, angesichts der drohenden Gefahren wäre ein Arzt mehr im Gebäude vielleicht doch ganz praktisch.
Nach den Besuchern begeben sich die Musiker auf ihre Plätze und legen los. Und wenig später betritt Neil Diamond die Bühne – durch einen Diamanten. Als solcher funkelt die sechseckige Bühnenhinterwand. Überhaupt ist hier alles reines Las Vegas: Die elf Musiker und zwei Sängerinnen stehen in zwei Reihen im Hintergrund, die große Fläche davor gehört nur Neil Diamond und seiner edlen Akustikgitarre. Auf deren Griffbrett steht in geschwungenen Lettern sein Name, natürlich diamanten-glitzernd. Und das blau-schwarze Hemd des 74-Jährigen ist perfekt mit der Bühnenbeleuchtung abgestimmt.
Los geht´s mit dem Welthit „I´m a Believer“. Dann singt Diamond mit seiner unverbrauchten Million-Dollar-Stimme Balladen wie „Love on the Rocks“, „Hello Again“ und „Girl, You´ll Be A Woman Soon“. Nach dem herrlichen „Play Me“ wirft er Kusshändchen ins Publikum. Alles ist haarscharf an der Grenze zum Kitsch oder auch weit darüber, die Synthie-Streicher sowieso. Aber es funktioniert trotzdem. Denn Neil Diamond hat Million-Dollar-Songs.
Zum Beispiel „Forever in Blue Jeans“: Der schlichte Country-Stampfbeat übernimmt sofort das Kommando über jeden Fuß, der im Takt wippen kann. Und schon in der dritten Zeile, viel früher als erwartet, nimmt der Song mit einer Wendung Fahrt auf: Wegen solcher Einfälle hat Neil Diamond 128 Millionen Platten verkauft. Mit „The Art of Love“ von seiner neuen Platte „Melody Road“ zeigt er, dass er’s immer noch drauf hat. Der Text ist ihm so wichtig, dass er ihn auf die Diamanten-Wand projizieren lässt. Das Publikum dankt’s dem Songkünstler mit bewunderndem Applaus
Schade ist nur, dass die – selbstredend exzellente – Band nur in gehobener Zimmerlautstärke spielt. Neil Diamonds Akustikgitarre übertönt die 13 Musiker locker, sein Gesang steht sehr stark im Vordergrund. Man kann nur ahnen, was der ehemalige Elvis-Presley-Schlagzeuger Ron Tutt so treibt.
Umso lauter ist das Publikum, es jubelt frenetisch nach „Red Red Wine“, das Neil Diamond in der UB 40-Version spielt, und „Beautiful Noise“. Und klar, bei der Zugabe übernehmen eh die Zuschauer: „Sweet Caroline“ – BA! BA! BA! Ob die Bläser die drei absteigenden Noten auch spielen, wissen nur sie selbst. Es ist auch völlig egal, denn die guten Zeiten schienen nie so gut wie jetzt – SO GOOD! SO GOOD! SO GOOD!
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