Große Klassik-Tradition aus den USA

Am Sonntag gastiert das Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons im Gasteig - ein Interview mit dem Konzertmeister Malcolm Lowe
Robert Braunmüller |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Malcolm Lowe spielt seit 1984 im Boston Symphony Orchestra.
Michael Lutch 2 Malcolm Lowe spielt seit 1984 im Boston Symphony Orchestra.
Andris Nelsons und das Boston Symphony Orchestra beim Gastspiel in Berlin – mit Malcolm Lowe am ersten Pult der Geigen.
Marco_Borggreve 2 Andris Nelsons und das Boston Symphony Orchestra beim Gastspiel in Berlin – mit Malcolm Lowe am ersten Pult der Geigen.

Vor 18 Jahren war das Boston Symphony Orchestra zum letzten Mal in München. Am Sonntag spielen die Musiker von der amerikanischen Ostküste im Gasteig erst Schostakowitsch, Rachmaninow und Tschaikowsky. Nach der Pause folgen Debussys „La Mer“ und Ravels „La Valse“. Dirigent ist Andris Nelsons, der seit 2014 als Chef des Orchesters amtiert. Solistin ist seine Gattin, die Sopranistin Kristine Opolais. Die AZ sprach mit dem Konzertmeister über Gegenwart und Vergangenheit seines Orchesters.

AZ: Mr. Lowe, warum gastiert ein amerikanisches Orchester mit französischer und russischer Musik?

MALCOLM LOWE: Beides gehört zu unserer Tradition. Unser Orchester wurde 1881 gegründet, aber erst richtig berühmt durch den russischen Kontrabassisten, Dirigenten und Musikmanager Sergei Kussewizki. Er war Russe, kam aber nach Jahren in Paris zu uns. Kussewitzki war zwischen 1924 und 1949 Chefdirigent und hat bei Béla Bartók das „Konzert für Orchester“ in Auftrag gegeben. 1937 gründete er das Tanglewood Festival, wo noch zu seiner Zeit die Karrieren von Lorin Maazel und Leonard Bernstein begannen. Und bei uns haben immer viele Musiker aus Europa gespielt.

Und woher kommt die französische Tradition?

Maurice Ravel ist bei seiner ersten USA-Reise mit dem Boston Symphony Orchestra aufgetreten. Wir benutzen bis heute die Noten mit den damaligen Einzeichnungen. Noch prägender war allerdings unser langjähriger Chef Charles Münch. Er stammte aus dem Elsaß. Seine Aufnahme der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz mit dem Boston Symphony Orchestra von 1954 setzt bis heute Maßstäbe. Seji Ozawa hat das weitergeführt. Unser neuer Chefdirigent Andris Nelsons interessiert sich sehr für unsere Geschichte, und so ist dieses russisch-französische Programm entstanden.

Wie klingt das Boston Symphony Orchestra?

Schwer zu sagen. Unser Klang hängt mit der besonderen Akustik der Symphony Hall in Boston zusammen, in der das Orchester sehr farbig klingt. Charakteristisch für uns ist eine gewisse Verfeinerung. Das passt auch zur Stadt: Sie dürfen sich Boston nicht als typisch amerikanisch und kosmopolitisch vorstellen. Wir sind eine alte, konservative Stadt, die eher europäisch geprägt ist.

Ich hoffe, Sie sind nicht zu sehr enttäuscht vom Gasteig.

Jeder Saal ist anders. Aber dafür gibt es bei Gastspiel-Reisen Proben vor jedem Konzert. Ich höre dann, wie ich die anderen Orchestergruppen wahrnehme. Der Dirigent passt das Tempo an. Aber Andris Nelsons kennt den Gasteig gut.

Im ersten Teil gibt es die Brief-Szene aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“. Spielt das Orchester auch sonst Oper?

Nur konzertant oder halbszenisch. Anderes geht in unserem Saal nicht. In Kürze führen wir den „Rosenkavalier“ auf, im letzten Jahr hatten wir die „Elektra“ von Richard Strauss. Und natürlich spielen wir öfter auch Wagner-Ausschnitte.

Warum war das Orchester so lange nicht in München?

Unserer voriger Chefdirigent James Levine war lange Zeit gesundheitlich angeschlagen. Das hinderte ihn am Reisen. Mit Nelsons sind wir nun schon das zweite Mal in Europa.

Wie wurde Andris Nelsons der Chef in Boston?

Die Entscheidung für einen Music Director ist ein langwieriger Prozess. Man hört sich um und lädt viele Dirigenten ein. Andris Nelsons sprang 2011 vor einem Gastspiel in der New Yorker Carnegie Hall kurzfristig für James Levine ein. Die Aufführung von Gustav Mahlers Neunter hat einen starken Eindruck bei uns hinterlassen.

Aber Sie müssen Ihn mit dem Leipziger Gewandhausorchester und dem Lucerne Festival Orchestra teilen.

Die Zeiten, in denen Dirigenten wie Kussewitzki, Münch oder Ozawa jahrzehntelang ein Orchester leiten, sind vorbei. Das heutige Lebenstempo ist rascher. Ich habe volles Vertrauen in Andris Nelsons: Er geht ganz in Musik auf.

Was ist die Aufgabe eines Konzertmeisters – außer am ersten Pult der Violinen die Soli zu spielen?

Ich sehe meine Rolle als Vermittler in der Kommunikation zwischen Dirigent und Orchester. Und zwar auf den Proben und im Konzert. Manchmal muss man da mehr machen, manchmal weniger.

Gasteig, Sonntag, 20 Uhr. Restkarten von 59 bis 159 Euro an der Abendkasse

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.