Gott und die Welt, Vater und Sohn
Doppelchor schreibt Übervater Bach vor. In seiner Leipziger Thomaskirche hatte er gegenüberliegende Emporen als Stereoeffekt. Das könnte man im Herkulessaal sogar nachahmen. Denn nach dem Eingangschoral "Singet dem Herrn ein neues Lied" schieben zwei Chöre verschiedene Texte im Wechselgesang ineinander als inhaltliches Ping-Pong-Spiel.
Auf der Bühne des Herkulessaals trennt die beiden kompakten BR-Chor-Gruppen nur eine kleine Schneise. Der kanadische Dirigent Bernard Labadie nutzte die folgende Orchestersuite Nr. 4 (in grösserer Besetzung als Bach das jemals aufführen hätte können) für ein hohes Tempo, ohne grosse Rücksicht auf historische Aufführungspraxis. Aber es wurde ein tänzerisch mitreissendes Mittelstück.
Das "Sanctus" aus der h-Moll- Messe vollendete den ersten Programm-Steigerungsbogen: vom innig-kompakten, evangelischen Gottesdienst über grosse weltliche Feierlichkeit zum katholischen Überwältigungs-Stück.
Dieser Bogen erstreckte sich dann sogar noch über die Pause - zum Bachsohn Carl Philipp Emanuel. Weltliches (zwei Symphonien, pompös mit Hörnern, dann Streicher) führten zur innig-geistlichen Komposition "Heilig", wieder mit getrenntem Chor und Altstimme (Kristina Hammarström): eine Verbeugung vor dem Vater.
Dass aber der vor 300 Jahren Geborene seinen Vater ehrte, sich aber vom väterlichen Über-Ich kompositorisch wunderbar frei gemacht hatte, war ein wunderbar hörbares Ergebnis des Abends. Nur verdeckt Rezeptions-Gigant Mozart zuviele seiner Zeitgenossen, wie den Bachsohn. Aber dessen Musik, nur einen Schritt vor der Wiener Klassik, ist aber bereits Ausdruck eines aufgeklärten Ich-Bewusstseins, einer subjektiven Empfindsamkeit der Werther-Zeit.
Das Symphonieorchester bewies an diesem Abend, dass es mit der doppelten Bachzeit hervorragend umgehen kann: nicht angestrengt streng, sondern spielfreudig.