First Aid Kit covern Cohen: Suche nach dem maximalen Drama
Es lassen sich ganze Abende - sehr schöne Abende - damit verbringen, Klara und Johanna Söderberg alias First Aid Kit auf Youtube dabei zuzuhören, wie sie sich quer durch die Popgeschichte covern.
Ob Bob Dylan oder Abba, die Kinks oder Kenny Rogers, ob Bekanntes von Kate Bush oder Brillantes von Kate & Anna McGarrigle: Die Schwestern lassen alte Songs erstrahlen, geben ihnen oft einen neuen Dreh, und nicht selten klingen ihre Versionen besser als die Originale.
First Aid Kit verbeugen sich vor Cohens Werk
Einem ihrer größten Idole, Leonard Cohen, haben sie sogar einen ganzen, groß angelegten Konzertabend gewidmet. Nicht lang nach seinem Tod verbeugten sie sich 2017 in Stockholm vor seinem Werk, gemeinsam mit Freunden aus der schwedischen Schauspiel- und Musikszene, darunter Loney Dear und Frida Hyvönnen. Jetzt ist "Who By Fire", so der Name des Konzerts, erstmals auf CD und LP erschienen.
Einfallsreiche Arrangements rücken Schönheit der Musik nach vorn
Für die Arrangements sorgte der Vibraphonist und Pianist Sebastian Ring: Er ließ Cohens Songs mal ganz zart nur mit seinem Vibraphon und Klara Söderbergs Gitarre erklingen, mal mit üppiger Band, Streichern und 20-köpfigem Chor.
Im Zentrum des Klangs steht der zweistimmige Zaubersound der singenden Schwestern, der oft von weiteren Sängerinnen ergänzt wird. Die Harmonien und die einfallsreichen Arrangements rücken die Schönheit dieser Musik nach vorn - die Schönheit, die Cohen selbst mit seiner Poesie oft etwas in den Hintergrund dichtete.
"You Want It Darker": First Aid Kit mit dramatischem Chorus
Bei den Söderberg-Schwestern klingt alles sehr einnehmend: der Titelsong "Who By Fire", "Suzanne" und "Everybody Knows", für Loney Dears Solonummer "Avalanche" gilt das gleiche. Ein Höhepunkt ist der Titelsong von Cohens letztem Album "You Want It Darker": In der Originalaufnahme sprach Cohen seinen Text zu düsterer Musik, die Patrick Leonard geschrieben hatte. Auch First Aid Kit lassen dessen Choräle dunkel funkeln, fügen aber einen dramatischen Chorus hinzu, wo Cohen charismatisch geraunt hatte.
Nur dem dank Jeff Buckleys Cover-Version berühmtesten Cohen-Song "Hallelujah" - der bei kirchlichen Hochzeiten ähnlich unvermeidbar geworden ist wie Ja-Wort und Treueschwur - wissen Sebastian Ring und First Aid Kit wenig Neues, Interessantes abzugewinnen.
Der Abend bekommt einen theatralen Rahmen
Neben diesen Klassikern haben auch unbekanntere Songs ihren Platz, und dazwischen rezitieren die Sängerinnen immer wieder Leonard Cohens Gedichte und Briefe. So bekommt der Abend einen theatralen Rahmen, und die Eröffnung mit "Tired" lässt die Performance nicht als bloße Rückschau wirken, sondern verortet sie im Hier und Jetzt. "We're tired of being white and we're tired of being black": Die Anklage des Rassismus ist zu allen Zeiten gültig, doch seit der Aufnahme sind diese Zeilen nochmals aktueller geworden: Zu Zeiten des George Floyd-Prozesses entfalten sie eine besondere Dringlichkeit.
Wenn diese Konzertperformance ein kleines Manko hatte, lag es paradoxerweise im Repertoire begründet: Das ist zwar großartig, doch lässt sich mit all diesen Balladen musikalisch kein allzu dynamischer Spannungsbogen aufbauen - auch wenn die Arrangements der einzelnen Songs oft erfolgreich auf maximales Drama zielen.
Der harmonieselige Gesang der Söderbergs trägt dazu bei, lässt die Songs kein bisschen leichter wirken, sondern düster strahlen. Aber für die Bewunderer von Leonard Cohen gilt ja nun mal, was Klara und Johanna Söderberg in einem der gelungensten Lieder singen: "You Want It Darker".
First Aid Kit: "Who By Fire" (erschienen bei Sony Music)