Kritik

Feministisch, lustig, ausgeschlafen: Blond in der ausverkauften Muffathalle

Der AZ-Kritiker ist davon überzeugt, dass der Erfolg der Band aus Chemnitz in den nächsten Jahren weiter wuchern wird
Michael Stadler |
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Blond in der Muffathalle.
Blond in der Muffathalle. © Jens Niering

Schön wäre es, die Augen einfach mal zu schließen und von schönen Dingen träumen zu können, aber die Welt, in der wir leben, ist für Wiegenlieder nun mal nicht gemacht. Die Melodie von „Schlaf, Kindlein, schlaf“ erklingt in der Muffathalle, der Sound erinnert an eine kaputte Spieldose. Je länger sie spielt, desto verzerrter der Klang. Etwas Dunkles dräut zunehmend - und dann fällt der weiße Vorhang vor der Bühne, der Blick wird frei auf ein Meer aus herabhängenden fliederfarbenen Tüchern, davor das Trio des Abends.

Blond aus Chemnitz sind da, Tourauftakt in München, in der ausverkauften Muffathalle, und sie spielen zu Beginn „16 Jahr, blondes Haar“. Der Titel klingt nach Udo Jürgens und Schlager, der Song ist aber Rock mit eingebauter Ohrfeige für alle Typen Mitte zwanzig, die glauben, sie müssten einen Teenager mit miesen Schmeicheleien ins Bett kriegen. Blond gleich doof, das Klischee hat Mann im Kopf und beutet eine pubertierende 16-Jährige gnadenlos aus. Was sie hingegen will, steht am Ende des Refrains - es ist ein Satz, der auch der Titel des neuen, dritten Blond-Studioalbums ist: „Ich träum doch nur von Liebe.“

Liebe gibt es an diesem Abend, sogar sehr viel, für eine Band, die mit feministischem Furor dem Patriarchat den Mittelfinger zeigt und dabei so lustig und musikalisch vielfältig daherkommt, dass man selbst die etwas bittereren Botschaftspillen brav zum Beat nickend schluckt.

Flauschiger Anfang, später Garagenrock

Auf die muntere, zu Beginn gestellte Frage, wer sich denn im Saal selbst lecken kann, reagiert das aufgeschlossene Publikum zunächst etwas überrascht, aber letztlich ist das nur eine Überleitung zum nächsten Song, „Ich wär so gern gelenkiger.“

Wer sich mit der weiblichen Sexualität nicht so gut auskennt, dem geben die Schwestern Nina und Lotta Kummer, die eine an der Gitarre, die andere am Schlagzeug, im Zusammenspiel mit Multiinstrumentalist Johann Bonitz (Bassgitarre und Tasten) gerne Auskunft. „Vier Stunden Fahrt mit Schmerzen im FlixBus. Glaub‘ mir, die Periode ist kein Luxus“, heißt es in „Es könnte grad nicht schöner sein“. Der flauschige Balladen-Anfang kippt in den Garagenrock und man überlegt sich, ob die aufblasbaren, wie Stalagmiten aufragenden Bühnenelemente vielleicht doch an weibliche Genitalien erinnern sollen.

Nach seinem ersten Auftritt bei Johanns Jugendweihe im Jahr 2011 hat sich das auf die Ende Zwanzig zubewegende Trio eine beachtliche Fangemeinde erarbeitet. Im Publikum finden sich neben der erwartbar versammelten Gen-Z auch einige ältere Semester, die in Blond möglicherweise die Erbinnen linken Agit-Props alter Tage entdecken wollen.

Ein Schmankerl für München

„SB-Kassen Lover“ bietet klug getextete Kapitalismus-Satire zu wummernden Techno-Beats. Mit „Männer“ weisen sie, die Weather Girls aus den Achtzigern parodierend, auf den Männerbandüberschuss bei Festivals aufs Heiterste hin: „Es regnet Männer, halleluja!“

Für München bieten sie zwischendurch ein besonderes Schmankerl, covern mitten im Publikum „Ohne dich“ von der Münchner Freiheit. Ein Plastikschwan leistet ihnen Gesellschaft, Lotta liefert ein hinreißendes Flöten-Solo. „Ich bin ne geile Bitch“, singen sie später, und man singt lustvoll mit. Dass der Erfolg von Blond in den nächsten Jahrzehnten wuchern wird - darüber müssen sie sich keine grauen Haare wachsen lassen.

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