Eine jüngere Sicht auf den alten Bruckner
Er hat in München und anderswo bemerkenswerte Aufführungen der Symphonien von Schostakowitsch geleitet. Auch als Operndirigent genießt Tugan Sokiev einen guten Ruf. Aber mit den Werken von Anton Bruckner hat den 46-Jährigen aus Nordossetien bisher niemand in Verbindung gebracht.
Bei den Monumental-Symphonien des heuer vor 200 Jahren geborenen Oberösterreichers wird zu oft auf Erfahrung und Altersweisheit gesetzt. Insofern war es eine richtige Entscheidung, Sokhiev und die brucknererfahrenen Münchner Philharmoniker bei der Achten zusammenzubringen, auch wenn das Ergebnis nicht rundum überzeugte.
Musikalische Verlebendigung
Sokhiev verzichtete auf den mystischen Urnebel und die religiöse Aura. Die Klarinette und die Bässe arbeiteten hart an der Entwicklung des Hauptthemas. Auch sonst bemühte sich der Dirigent, die Musik nicht selbstverständlich geschehen zu lassen, sondern dramatisch zu entwickeln. Vor allem der erste Satz gewann an Spannung, weil er gleichsam vom Orchester improvisiert wirkte.

Einsätze der Tuben wirkten nicht feierlich, sondern düster. Auch das Blech verstand erhabene Momente eher als Drohung an den Hörer. Das wirkte - trotz gemessener Tempi - ungemein lebendig.
Besonders gelungen wirkten die fahlen und zwielichtigen Passagen zwischen den Ausbrüchen, denen viele Interpreten oft relativ wenig Aufmerksamkeit schenken. Allerdings blieb ausgerechnet der entscheidende Wendepunkt, die von Bruckner als "Todverkündigung" bezeichnete tragische Zuspitzung am Ende des ersten Satzes zu weich wie viele Fortissimo-Momente dieser Aufführung.
Bruckner spontan klingen lassen
Im Scherzo interpretierte Sokhiev die Musik schon weniger, das Adagio begann ungewöhnlich getragen. Im Finale zog der Dirigent das Tempo an. Hier machte sich kapellmeisterliche Routine breit, wiewohl alle Beteiligten weiter vorbildlich auf Transparenz und Durchhörbarkeit achteten.
Bei der Kombination aller zentralen Themen am Ende der Symphonie betonte Sokhiev die Bässe mit dem Ergebnis, dass der Schluss frappierend an den Einzug der Götter in Walhall aus Wagners "Rheingold" erinnerte.

Der Versuch überzeugte, die Musik vom Moment des Rituellen zu befreien und spontaner als üblich klingen zu lassen. Aber die Aufführung war längst nicht so durchgeformt wie die Neunte unter dem designierten Chefdirigenten Lahav Shani am Beginn der Saison, die einen ähnlichen Ansatz verfolgte.
Trotzdem: Es hat viel für sich, Bruckners Musik auch jüngeren Dirigenten anzuvertrauen. Und es ist interessanter, als Hörer einen Interpreten auf seiner Suche zu begleiten. Selbstgewisse, auf langer Erfahrung gründende Bruckner-Interpretationen hat München bereits oft genug gehört.
Am Donnerstag dirigiert Sokhiev um 19.30 Uhr ein russisches Programm (Restkarten)