Ein Ständchen für Adele: Chris Martin heizt die Coldplay-Party an
Chris Martin spielt am Klavier schon die Akkorde von "The Scientist", die Hitballade ist wie immer als vierter Song des Abends eingeplant, aber dann bricht er ab. "Unsere Freundin ist in der Stadt", sagt er lächelnd, "also lasst uns das hier gemeinsam singen". Und so stimmen Zehntausende im Olympiastadion erstaunlich textsicher den Refrain von "Someone Like You" an, als kleines Ständchen für die Megastar-Freundin, die eben auch in der Stadt ist: Adele.
Chris Martin ist einfach extrem nett
Diese halbe Minute führt recht schön vor Augen, was das für einmalige Poptage in München sind: Vor nicht mal drei Wochen trat der weltgrößte Star Taylor Swift zweimal im Olympiastadion auf, jetzt spielen Coldplay hier dreimal vor ausverkauften Rängen - und ihre Premiere am Donnerstag ist eingebettet in zwei Adele-Konzerte am Mittwoch und Freitag. Zwei von zehn, bekanntlich. Dass sie nicht am selben Tag auftritt wie Coldplay, dafür bedankt sich Chris Martin freundlich strahlend bei Adele: "We love you!"

Martin bedankt sich ohnehin sehr ausgiebig: bei der Crew und den Security-Leuten, bei den Getränkeverkäufern, den Bus- und Zugfahrern, die die Zuschauer ins Stadion gebracht haben, und natürlich bei diesen selbst, "den großen und kleinen, den schwarzen und weißen". Ja, er bedankt sich sogar bei den Menschen, die am Abend zuvor bei Adele waren. Dieser Chris Martin ist einfach extrem nett, achtsam und aufmerksam, in einer kaum noch zu steigernden Weise. Er bezeichnet die Zuschauer als "beautiful" und "wonderful", lobt ihre "Energie" oder einfach nur die Wahl ihrer Hemden und T-Shirts. Doch das wirkt nicht anbiedernd, sondern sympathisch, weil Martin charmant ist und mit britischem Humor gesegnet. Und so hat dieses Übermaß an Freundlichkeit eine, na klar, positive Wirkung auf die Zuschauer.
Ein Pop-Wunsch geht in Erfüllung
Besonders als Martin zur Hälfte der Show der jungen Zuschauerin Vanessa den Wunsch erfüllt, den sie auf ihr Schild geschrieben hat: Seit sechs Jahren sei sie frei von Angstattacken - ob er für sie "Don't Panic" spielen könne? Er bittet sie auf einen Platz neben seinem Klavier, unterhält sich überfreundlich-charmant mit ihr, entschuldigt sich für sein starkes Schwitzen ("Manche Leute wirken aus der Entfernung besser") und singt dann das gewünschte Lied für sie. Und die Glücksgefühle der jungen Frau, die auf der Großleinwand sichtbar werden, übertragen sich voll und ganz aufs Publikum.

Es ist ein bewegender Moment und einer der wenigen ganz ruhigen der Show. Denn die meisten anderen Songs sind wie fürs Stadion gemacht, angefangen vom Opener "Higher Power" und "Adventure Of A Lifetime". Da klingt Chris Martins Stimme noch schrecklich blechern und die Band zu laut, doch die Mischer kriegen ihren Laden recht schnell in den Griff. Bei "Paradise" geht ein Energieschub durch die Arena, und auch danach folgen Hit auf Hit: "The Scientist", "Viva La Vida", "Hymn For The Weekend".
"Yellow" ist der musikalische Höhepunkt
Auch bei den Stücken ohne Zuspielungen klingt die Band raumgreifend, und als Geheimwaffe entpuppt sich der äußerst effektive Gitarrist Jonny Buckland: Der spielt maximal uneitel, fern von jeder Gitarrenhelden-Pose, doch erst seine oft schlichten, repetitiven Zwei- oder Dreiklang-Pattern pumpen die Songs auf Stadiongröße - fürs Lehrbuch. Mit dem einzigen echten Rockkracher "God Put A Smile Upon Your Face" und "Yellow" ist dann etwa zur Hälfte der Show der musikalische Höhepunkt erreicht.
All das ist eingebettet in quietschbunte Optik: Am Eingang haben die Fans Armbänder erhalten, die synchron in allen Farben dieser Welt leuchten. Kennt man schon von Taylor Swifts Shows vor zweieinhalb Wochen? Stimmt - aber erfunden hat es Coldplay bei ihrer Tour 2016/17. Und auch diesmal verfehlt es seine Wirkung nicht. Und im Hintergrund fügt sich das bunt leuchtende Riesenrad des Olympiapark-Sommerfestivals bestens ein. Dazu gibt es noch Konfetti hier, Feuersalven da, Riesenbälle fliegen durch das Rund und von der Großleinwand strahlt allerlei Buntes. Als dann noch die Puppe "Angel Moon" Teil der Show wird, denkt man an einen überdimensionierten, aus dem Leim gegangenen Luxus-Kindergeburtstag. Aber ein schönes Spektakel ist's trotzdem, bis zum abschließenden Feuerwerk.
Tanzen, um Strom zu erzeugen
Seit Frühjahr 2022 läuft diese gigantisch erfolgreiche "Music Of The Spheres World Tour", bis zum geplanten Ende im November wollen die Briten 177 Konzerte gegeben haben, schon mehr als 7,5 Millionen Menschen haben sie in motorisierte Bewegung gesetzt. Wie verträgt sich all das mit dem Thema Nachhaltigkeit, auf das Coldplay seit über zwei Jahrzehnten die Aufmerksamkeit umlenkt, die der Band zuteilwird? 2019 war sie mit dem Album "Everyday Life" nicht auf Tour gegangen, um dem Planeten nicht noch mehr Unbill zu bescheren. Aber bei der aktuellen Tour wurden die CO2-Emissionen laut Veranstalter im Vergleich zur Tour von 2016/17 um 47 Prozent gesenkt. Ein Film vor Konzertbeginn erklärt, dass Teile der Ticketerlöse für Aufforstung eingesetzt werden, für Natur- und Artenschutz, saubere Technologien und weitere ehrenwerte Ziele. Die an den Eingängen verteilten LED-Armbänder sind aus recyceltem Plastik und sollen nach dem Konzert zurückgegeben werden, und im Stadion können Fans auf Fahrrädern oder speziellen Tanzflächen durch ihre Bewegungen Strom generieren. Der kommt dann bei der nächsten Show zum Einsatz.

Also schon am Samstag: Den Kartenbesitzern sei geraten, schon um 18.30 Uhr fürs Vorprogramm da zu sein. Die Berlinerin Wilhelmine spielt eingängigen Deutschpop mit queerem Anliegen, und die US-Amerikanerin Maggie Rogers sollte man sich nicht entgehen lassen: Ihr Gesang ist beeindruckend, ihre Songs liegen irgendwo zwischen Pop, Rock und Country, ihre groovende Band packt hier und da noch eine Prise Funk drauf, etwa beim starken "Give A Little".
Bei den beiden Acts hat sich Chris Martin natürlich auch freundlich bedankt an diesem schönen Debüt-Abend. An dessen Ende er noch den nächsten Superstar auf die Münchner Bühne brachte: Bei „Fix You“ stand wie aus dem Nichts Shawn Mendes am Mikro und sang mit. Wieso er in München ist? Man weiß es nicht.
Danach aber beendete die Band die Show entgegen aller Konzertlogik mit zwei neuen Songs, „Good Feelings“ und „feelslikeimfallinginlove“, und die waren deutlich uninteressanter als die Stücke zuvor. Aber vielleicht sollte den begeisterten Fans ja der Abschied erleichtert werden? Vielleicht war auch das einfach nur nett gemeint?
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