Ein Modetanz wird global und zeitlos
Tango können nur die Argentinier? Vor hundert Jahren verbreitete sich der Tanz epidemisch fast auf der ganzen Welt.
Seine Stimme ist Freund, seidiger Begleiter. „Mavi Kelebek“ – blauer Schmetterling – heißt das Lied. Europa liegt in der Dunkelheit des Zweiten Weltkrieges. Die Türkei allerdings ist bis 1945 neutral. 1938 stirbt der Staatsvisionär Atatürk, ein radikaler Modernisierer. Da ist ein Hunger nach der Musik außerhalb der eigenen Grenzen.
Wer das Leben sucht, landet beispielsweise in einem Nachtclub in Istanbul- „Ates Böcekleri“ – Glühwürmchen“ – heißt er. Der Hausherr, der hier besonders die Damen verzückt. ist Ibrahim Özgür. Sein ist der Tango. Özgür hat ihn begriffen. Er steht über dem Schieben des Rhythmus’. Scheint, als würde seine Stimme diesen Tanz liebevoll führen. Nicht umgekehrt. „Bir Ask Hikayesi“ – das Erbe des Orientalischen ist durch die Mode nicht getilgt, sondern hier melodiös sich windende Exotik.
Seit den Filmen von Aki Kaurismäki und den zwei maßgebenden, beim Münchner Label Trikont erschienenen Sammlungen, weiß man um die Tangobegeisterung der Finnen. Kennt Olavi Virta, diesen Meister der Melancholie. So fernab von Argentinien und den Hafenkneipenklischees ist der finnische Tango die Musik für einsame Herzen in einem kalten Land. Und die Behauptung, einzig dem Tango sei es zu verdanken, dass die eh schon überschaubare Bevölkerungszahl nicht weiter sinkt, ist bis jetzt unwidersprochen.
Finnland allerdings, liebt den Tango zwar bis heute innig, aber die Vorstellung, sie hätten diesen Tanz gepachtet, ist nicht haltbar. Wer etwas weiter sucht, landet bei Oriente Musik, einem deutschen Label, und dessen Chef Till Schumann. Der Tango, sagt Schumann, sei eigentlich die erste wirkliche Weltmusik gewesen. Bei Oriente Musik findet man die Aufnahmen von Ibrahim Özgür. Und man findet den erweiterten Blick auf ein stark von Frauen geprägtes Genre auf „Istanbul Tango 1927-1953“.
Unstillbarer Schwof-Bedarf
Um die Wurzel dieser Manie zu finden, muss man in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreisen. Ab 1910 brachten Gruppen aus Buenos Aires den Tango nach Paris. Es war, als hätte man Feuerzeug und Zündschnur zusammengebracht. Der Tanz ist Mode, die erst einmal in den Metropolen jeder haben will. Selbstverständlich können die argentinischen Truppen den Schwof-Bedarf nicht decken. Und es beginnt die Adaption.
Die zwei bei Oriente erschienenen CDs aus der Reihe der „Old World Tangos“, „Echos From Afar“ und „Tango Alla Romanesque“, sind der Einstieg in den Reichtum, der gerade dadurch entsteht, dass Nationen und ihre Mentalitäten ein Stück abhaben wollen, von dem, was sie gerade für den heißesten Stoff in Europa halten. Darunter sind die beiden einzigen Tangos, die von Maria Tanase überliefert sind. Zwei elegante, gerade mit ihrer orchestralen Dekoration reizende Nummern, die ohne Reibungsverlust das Rumänische zur Sprache der Musik machen.
Bulgarien, Algerien, ja sogar Ägypten – der Tango macht vor keinem halt. Selbst Griechenland konnte sich nicht ganz wehren. Obwohl man gerade hier versuchte, unter Rückbesinnung auf das Ureigene, einen stabilen Nationalismus zu etablieren. Dimitris Philippopoulos bleibt somit die Ausnahme. Sein Tango ist schon durch Europa gefiltert. Übriggeblieben ist bei „Mesanichta“ eine vage Idee. Und tatsächlich komisch wird es, wenn man immer und immer den Drang zum Sirtaki spürt.
Der Reiz der Entgleisung
Ja, auch die Entgleisungen haben ihren Reiz. Ganz besonders die des Italieners Oscar Carbonis „Tango della banana“. Eine grundalberne Nummer über südamerikanische Früchte, vorgetragen mit einem auftrumpfenden Operngestus, der, hält man ihn gegen die Grundidee des Tangos, falscher nicht sein könnte.
Eine spezielle Angelegenheit ist Anna Saeki, nachzuhören auf der Doppel-CD „Tango clásico y moderno“ . Großes Orchester. In manchen Betonungen des Spanischen hört man eine winzige Irritation. Anna Saeki ist Japanerin. Ihr Tango hat das irritierende Flair des fast Echten. Und in den immer ein bisschen zu groß geratenen Gesten ahnt man fernöstlichen Geschmack.
Es gibt allerdings Nationen, mit einer, wie die Finnen, anscheinend naturgegebenen Tangobegabung, die den Tanz selbstverständlich an sich ziehen. „Polskie Tango“ heißt der dritte Teil der bei Oriente erschienenen „Old World Tangos“. Auch wenn sich die Mode damals in Polen neben anderen Novitäten wie den Foxtrott einreihen musste, hört man sie hier in konzentrierter, edler Traurigkeit über die Tanzfläche schieben.
Überhaupt – außerhalb Argentiniens interessiert die immer behauptete und dadurch ganz schön anstrengende Idee von knisternder Erotik keinen Hund. Und mit dem Chór Danas geht das in der vollbeerigen Mehrstimmigkeit so eindeutig in Richtung Osten, dass man sich kaum halten kann. Endgültig offen für den Kasatschok war Pjotr Leschenko, der König des russischen Tangos. In Bessarabien geboren, wechselt er zwangsweise durch Okkupation die Nationalität zum Rumänen.
Den Tango verband er in seinen Shows mit russischen Zigeunerweisen. Dass Kulturvernichter Stalin ihn von der Bühne verhaften lässt und er 1954 in einem Lagerlazarett stirbt, das wird sein Preis für eine Kunst, die die Idee der „Internationalen“ einfach mal in Musik umgesetzt hat.
Eine gelungene Neuschöpfung findet sich auch im Oriente-Programm: die beiden Alben von Karsten Troyke: „Dus Gezang fin mayn Harts“ und „Noch amul!“. Es ist die Zeit, als eine jiddische Kultur Deutschland reicher machte. Wer das rückblickend auf Klezmer reduzieren und flach romantisieren möchte, liegt falsch.
Natürlich konnte sich das jiddische Lied dem Tanz, der sich gerade epidemisch ausbreitete, nicht entziehen. Der Berliner Schauspieler und Sänger Troyke nimmt auf sympathische Weise zwinkernd mit ins Schlamassel des Lebens. Der Tango, hört man ihn quer durch die Welt, ist nämlich kein Tanz, er ist keine Mode, keine Zeiterscheinung. Er ist ein ruhiger Fluss, der den mitnimmt, der ihm vertraut.
Infos: www.oriente.de
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