Dirigent Currentzis in Salzburg: Beim Aushalten der Widersprüche

Salzburger Festspiele: Im ersten Konzert wird Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 13 "Babi Jar" unter dem umstrittenen Dirigenten Teodor Currentzis gespielt.
Robert Braunmüller
Robert Braunmüller
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Der Dirigent Teodor Currentzis.
Der Dirigent Teodor Currentzis. © SF/Marco Borrelli

Salzburg - Ist er ein Genie oder ein Scharlatan? Der Dirigent Teodor Currentzis spaltet. Manche seiner leicht entflammbaren Fans tun so, als habe er den sogenannten Originalklang persönlich erfunden. Seine Verächter stören sich am Magier-Gehabe und den Mönchskutten seines Chors, die verstaubteste Klischees von östlichem Mystizismus und russischer Seele bedienen.

In diesem Jahr gibt es eine neue Debatte: Currentzis' Chor und Orchester MusicAeterna werden von der VTB-Bank unterstützt. Sie steht auf der Sanktionsliste. Russlands Zentralbankchefin Elvira Nabiullina präsidiert der Stiftung hinter dem Ensemble. Gazprom finanzierte zuletzt eine Russland-Tournee. Die Distanzierungen des Dirigenten vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine lauwarm zu nennen, wäre eine Übertreibung.

Hinterhäuser: "MusicAeterna setzt sich aus Musikern verschiedenster Herkunft zusammen"

Die Salzburger Festspiele halten trotzdem an Currentzis fest: Er wird den Doppelabend aus Béla Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" und Carl Orffs "De temporum fine comoedia" herausbringen und zwei Konzerte dirigieren.

Teodor Currentzis und das Gustav Mahler Jugendorchester im Großen Festspielhaus.
Teodor Currentzis und das Gustav Mahler Jugendorchester im Großen Festspielhaus. © SF/Marco Borrelli

Der Intendant Markus Hinterhäuser will keine Bemerkung von Currentzis gefunden haben, die Sympathie für das System Putin oder den Krieg zum Ausdruck gebracht hätte. "Sein ganzes Wirken sehe ich als Gegenmodell. MusicAeterna setzt sich aus Musikern verschiedenster Herkunft zusammen, in der Hauptsache russische, aber auch ukrainische", sagte Hinterhäuser österreichischen Medien. Ob er wirklich mit ihm gesprochen hat, blieb etwas diffus.

Der nachdenkliche Hinterhäuser ist jemand, den man in diesem Punkt Ernst nehmen kann. Allerdings wurde unter seiner künstlerischen Leitung (und der Präsidentschaft von Helga Rabl-Stadler) für den Sommer 2020 ein von Gazprom gesponserter "Boris Godunow" mit dem Premierenbesucher Vladimir Putin geplant, den nur der Tod des Dirigenten Mariss Jansons vereitelte. Die posthume Peinlichkeit dieser Veranstaltung wäre unermesslich gewesen.

Russischer Bassist Dmitry Ulyanov trat als Solist auf

Im Unterschied zu den Münchner Theatern hängt am Festspielhaus auch keine ukrainische Flagge. Alles ist wie sonst, und man könnte diese österreichische Neutralität auch als geschäftsmäßige Wurstigkeit verstehen. Am Dienstag eröffnete Currentzis die Reihe "Ouverture spirituelle" mit Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 13 "Babi Jar" mit dem Gustav Mahler Jugendorchester, Mitgliedern des MusicAeterna-Chors und dem Salzburger Bachchor im Großen Festspielhaus.

Als Solist trat der russische Bassist Dmitry Ulyanov auf, der kürzlich auf Facebook von "Frieden und Liebe" sprach und die Bombardierung Kiews eine "Katastrophe" nannte, im nächsten Satz aber feststellte, dass sie wohl aus irgendeinem Grund notwendig gewesen sei. Das stößt einem in dem Zusammenhang sauer auf, denn bei einem Raketenangriff auf den Kiewer Fernsehturm wurde Anfang März offenbar auch das Gelände getroffen, auf dem im September 1941 Einsatzgruppen der SS und Angehörige der Wehrmacht mehr als 33.000 jüdische Frauen, Kinder und Männer ermordeten.

Hinterhäuser: "Das hat nichts mit einer Art von Putin-Hörigkeit zu tun" 

An dieses in der Sowjetunion lange beschwiegene Verbrechen erinnert der erste Satz von Schostakowitschs Symphonie. Sie besteht aus fünf symphonischen Orchesterliedern für Bass und Chor, die sich nach Gedichten von Jewgeni Jewtuschenko mit der stalinistischen und nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auseinandersetzen.

Russische Kriegsgefangene mussten nach dem Morden der Deutschen das Massengrab in Babi Jar bei Kiew zuschütten.
Russische Kriegsgefangene mussten nach dem Morden der Deutschen das Massengrab in Babi Jar bei Kiew zuschütten. © WIkimedia Commons

Die hört man von Ulyanov dann eher mit gemischten Gefühlen, auch wenn Hinterhäuser mit seiner Bemerkung recht haben dürfte, dass es aber falsch sei, allen Menschen mit russischem Pass Stellungnahmen abzuverlangen: "Das hat nichts mit einer Art von Putin-Hörigkeit zu tun. Das kann auch die nackte Überlebensangst sein", sagte er im März.

Dirigent Currentzis lotet das Beste an Schostakowitschs Musik aus

Wie auch immer: Rein musikalisch erweist sich Ulyanov als idealer Interpret für die 1962 gegen allerlei Widerstände in Moskau uraufgeführte Musik. Der am Moskauer Stanislawski-Musiktheater engagierte Sänger rechtfertigt alle Superlative: Er vereint in seiner Stimme Wucht mit Beweglichkeit. Sein voluminöser, schöner und tiefschwarze Bass ist sowohl dem Ernst des ersten und dritten Lieds wie auch den fahlen Grotesken des zweiten und fünften Liedes gewachsen, was kaum ein Interpret dieser Symphonie von sich behaupten kann.

Gleiches gilt für Currentzis und das Gustav Mahler Jugendorchester, das wie alle Nachwuchs-Profi-Klangkörper vor allem routinefreie Kraft und Perfektion auszeichnet. Der Dirigent nutzte dies, um das Beste an Schostakowitschs Musik auszuloten: ihre Maßlosigkeit in der Darstellung von Melancholie, Wut und Gewalt, die auch dann durchscheint, wenn die Musik still trauert oder für Sekunden so etwas wie Optimismus verbreitet.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

An einer brutal-hymnischen Stelle im ersten Satz ließ Currentzis das Orchester aufstehen. Herausragend spielte der Tubist, der zu Beginn des "Ängste"-Satzes ein fahles Unbehagen in zwölf Tönen verbreiten soll, das an den Beginn von Wagners "Siegfried" erinnert.

Currentzis mag aus trüben Quellen finanziert werden und es mag auch anstößig wirken, dass die Salzburger Festspiele nichts daran finden. Aber niemand dringt derzeit in Schostakowitschs Gefühlswelt tiefer ein als dieser umstrittene Dirigent. Der Beifall des von zahlreichen, an roten Bändchen erkennbaren Festspielmitarbeitern durchsetzten Publikums war heftig und fast ein wenig demonstrativ. Dennoch: Die Aufführung darf ohne jede Übertreibung perfekt genannt werden. Auch die Verbindung mit einem jüdischen Totengedenken, das der Kantor Naftali Wertheim eingangs sang, wirkte stimmig.

Es bleiben immer Widersprüche, wenn Bekenntnismusik von Leuten aufgeführt wird, die - wie Schostakowitsch selbst - keine Heiligen sind. Es wäre nur ganz gut, wenn derlei nicht unter den Teppich des Festspielhauses gekehrt und mit Geld zugeschüttet würde.

Ein Lernort zum Aushalten von Ambivalenzen wird die Stadt wohl nicht mehr werden, auch wenn sie viel Material dafür bietet und mit Leuten wie Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan und Karl Böhm schon immer bot. Aber das ist eine andere Geschichte.


Die Premiere des Bartók-Orff-Doppelabends folgt am 26. Juli. Am 17. August dirigiert Currentzis Purcells "Dido and Aeneas" und die Symphonie Nr. 14 von Dmitri Schostakowitsch mit MusicAeterna.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.