Die "Vier Jahreszeiten" von Vivaldi und Max Richter
"Du hörst sie im Fernsehen, in einer Werbung, als Fahrstuhl- und Warteschleifenmusik“, sagt Max Richter über Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. „Dadurch verliert das Werk seine Magie und du wirst ihm überdrüssig.“
Was tun? Heilsam wäre natürlich ein Verbot für mindestens zehn Jahre. Aber wir leben in einem freien Land, und Musiker, Konzertveranstalter und Zuhörer würden da kaum mitmachen. Der britische Komponist Max Richter hatte eine bessere Idee: Er zerschnitt die Partitur passgenau, schüttelte die Stücke durcheinander und komponierte die vier Violinkonzerte für Daniel Hope neu.
Der brachte beide Fassungen nun im Gasteig nacheinander zu Gehör. Richters Version wird dezent verstärkt. Die meisten Sätze beginnen wie bei Vivaldi, doch dann verbeißt sich die Musik in einzelne, suggestiv wiederholte Takte. Darüber spielt die Solo-Geige aus dem Material schlau abgeleitete Kantilenen, und die Harfe legt satte Bässe drunter.
Das erinnert fern an den Minimalismus von Phil Glass und Steve Reich, den Vivaldi bisweilen frappierend vorwegnimmt. Wer’s mag, wird leicht ein bisschen high davon. Doch ehe man sich ganz im Rausch verlieren könnte, bricht die Musik vorsichtshalber ab.
Und für den, der’s nicht postklassisch mag, bleibt der unversehrte Klassiker. Hope spielte ihn vor der Pause mit dem schlank besetzen Ensemble L’arte del mondo, das sich eines leuchtend-moderaten Originalklangs befleißigte.
Vor den vier Konzerten wurden die von Vivaldi in Musik gesetzten Gedichte verlesen. Hope verzichtete auf das wilde Kratzen, mit dem der „Jahreszeiten“ überdrüssige italienische Barock-Geiger das Werk darzubieten pflegen. Er setzte auch die in den Noten versteckten Anweisungen um: den Säufer etwa, der im „Herbst“ mit leicht pfeifendem Atem seinen Rausch ausschlief.
Das folgende Largo verwandelte der Cembalist mit rauschenden Akkordbrechungen in ein Solo-Konzert. Das leuchtete erst ein, als der Satz nach der Pause identisch in Richters Version wiederkehrte.
Ein vorweihnachtliches Wohlfühlkonzert, fürwahr. Aber zugleich eine der klügeren Versuche, Klassik und Pop zusammenzubringen.
CD: „Recomposed by Max Richter: Vivaldi – The Four Seasons“ (Deutsche Grammophon)
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