Die Seemanns-Rocker von Santiano haben ein Kinder-Hörspiel gemacht

Es war ein produktiver Sommer für die Jungs von Santiano: Im Sommer haben sie in der legendären Berliner Waldbühne gespielt und daraus ein Doppel-Live-Album gemacht. Dann haben sie die Musik für das Kinder-Hörspiel „König der Piraten“ geschrieben und einige Rollen auch gleich gespielt. Und schließlich spielen sie nächstes Jahr wieder auf dem Tollwood-Sommerfestival.
AZ: Letztes Jahr hat es drei, vier Takte gebraucht, bis das Publikum im Tollwood-Zelt ausgerastet ist. Wie kann es sein, dass in Bayern so viele Menschen auf Ihren norddeutschen Rock abfahren?
Björn Both: So außergewöhnlich ist das nicht bei einem Santiano-Konzert, dass die Leute nach ein paar Takten aus dem Häuschen sind. Wenn es mal drei Nummern dauert, dann gucken wir uns schon schief an: Strengt euch mal an.
"Die Sehnsüchte sind ja in München dieselben wie in Flensburg"
Trotzdem haben Sie erstaunlich viele Fans hier. Sind das alles Exil-Norddeutsche?
Björn Both: Könnte man meinen. Auf der ersten Tour hatten wir noch ein Nord-Süd-Gefälle, das hat sich aber nivelliert. Wir kriegen auch den südländischen Bergsteiger mit unserer metaphernreichen Sprache zu fassen.
Axel Stosberg: Es geht gar nicht darum, dass wir Seemänner sind. Die Sehnsüchte sind ja in München dieselben wie in Flensburg.
Hans-Timm Hinrichsen: Wir gehen hier in München genauso auf die Bühne wie bei uns im Norden – rauf und gib Gas. Bisher hat es immer gut geklappt.
Jetzt haben Sie in der Berliner Waldbühne das Doppelalbum „Von Liebe, Tod und Freiheit“ aufgenommen. Warum dort?
Björn Both: Hätte man uns mal erzählt, dass eine Stadt wie Berlin eine Hochburg für uns wird, hätten wir gesagt: Nie! Das wird Bremen, Hamburg, Flensburg, irgendwas Maritimes. Aber es ist tatsächlich so, dass wir in Berlin einen unheimlich guten Stand haben und die Waldbühne eine unheimlich gute Bühne ist.
Axel Stosberg: Die Waldbühne ist wie ein Kolosseum, da kann man hervorragend mit Kameras und Licht arbeiten. Das hast du woanders nicht so.
Björn Both: Und die Hütte klingt. Selbst Rammstein, die eine Woche vor uns da gespielt haben, haben lieber dreimal hintereinander die Waldbühne gespielt. Die hätten auch in einem Abwasch alles im Olympiastadion machen können. Wollten sie aber nicht.
Salzwasser im Blut
Wie viel Seefahrt steckt eigentlich in Ihnen?
Björn Both: Ich bin am ersten Advent noch gesegelt.
Axel Stosberg: Wenn du vom Meer kommst, steckt immer irgendwas von Segeln und Meer in dir. Generationen von uns sind am Meer großgeworden, du hast Salzwasser im Blut. Es steckt schon sehr viel von dem, was wir singen, in uns drin.
Santiano ist also keine Showband?
Björn Both: Als Schleswig-Holsteiner hast du einfach unheimlich viel mit dem Meer zu tun, auch wenn du kein Boot hast und nicht aufs Meer hinausfährst. So wie jeder, der hier in den Bergen wohnt, nicht unbedingt ein Gipfelstürmer sein muss, um trotzdem eine Affinität zu dieser Landschaft und zu dieser Wucht des Gesteins zu haben. So ein Berg hat ja eine ähnliche Wucht wie eine Zwölf-Meter-Welle. Das ist vielleicht der gemeinsame Nenner, den wir mit den Leuten hier in München haben: zu wissen, wie klein man eigentlich ist.
Passen Sie Ihr Programm der Region an, in der Sie sind? Spielen Sie also im Norden mehr plattdeutsche Lieder?
Axel Stosberg: Wir haben einen plattdeutschen Song, „Fresenhof“, ansonsten machen wir bundesweit dasselbe: deutsch, englisch und eben ein plattdeutsches Lied.
Björn Both: Und wir machen ja eine Show, da hängt ja viel dran: das ganze Lichtdesign, die Videobeams und so weiter. Wenn wir da kurz vorm Gig noch mal ankommen und sagen: Jungs, übrigens haben wir das Programm gerade noch ein bisschen umgebaut, dann fliegen Steine und Dartpfeile.
Axel Stosberg: Man könnte meinen, wir hätten noch zehn plattdeutsche Lieder im Köcher...
„Fresenhof“, ein Cover von Knut Kiesewetter, ist ja ein wunderschönes Lied.
Björn Both: Wir stehen zu Plattdeutsch und finden das auch klasse. Wir müssen nur aufpassen, dass wir Santiano nicht in die Regionalität zurückschießen.
Axel Stosberg: Es kann ja sein, dass wir noch mal ein plattdeutsches Lied machen.
Björn Both: Gerne, gerne! Aber man muss auch sehr dosiert damit umgehen. Es gibt ja ein paar Bands bei uns im Norden, die sehr viel mit Plattdeutsch machen und in der Folk-Ecke unterwegs sind, da muss man auch aufpassen, dass wir nicht zu viele Schnittmengen schaffen und dann in diesem Topf verschwinden.
Seit Torfrock und den Werner-Comics und -Filmen kam nicht viel Pop-Kultur aus Norddeutschland. Herrscht in Bayern vielleicht mehr Selbstbewusstsein, was die Regionalkultur betrifft?
Björn Both: Wir labern nur nicht so viel darüber. Wir warten erst zehn richtig geile Ideen ab – und dann verlieren wir mal einen Halbsatz darüber. Ein Norddeutscher würde nicht sagen, wie toll der Norden ist, weil er Angst hat, dass sonst so viele Leute kommen.
Sie haben gerade das Kinder-Hörspiel „König der Piraten“ gemacht. Der Junge Freddy macht sich darin auf die Suche nach seinem Vater – natürlich geht es in dem Abenteuer um die Seefahrt. Wie kam es dazu?
Björn Both : Wir haben das gesprochen und gespielt, geschrieben hat das Lukas Hainer, einer unserer Texter. Wir haben schon beim ersten Album gemerkt, dass wir unglaublich viele Kinder im Publikum haben. Da hat sich der Gedanke breitgemacht, dass wir eine Geschichte speziell für Kinder machen. Der Urgedanke war ein Kinderkonzert. Und dann hat sich die Idee mit dem Buch entwickelt, und es ist ein Riesen-Gemeinschaftswerk geworden: die Leute von unserem Elephant-Label, unsere Schreiber, Oonagh, wir und Leon, der Sohn von unserem Gitarristen Fahni. Der spricht die Hauptrolle.
Axel Stosberg: Ein Buch zu der Geschichte erscheint im März. Wir haben auf der Leipziger Buchmesse einen heiß umkämpften Stand bekommen.
„König der Piraten“ ist ein Doppel-Album ...
Björn Both: Einmal die Geschichte mit der Musik.
Axel Stosberg: Und einmal nur die zwölf Lieder auf einer CD.
Es kommt aus eigener Feder.
Björn Both: Das ging ratfatz. Da sind schon viele Ideen in der Schublade gewesen. Nummern, die die Erwachsenheit unserer neueren Alben nicht mitgetragen hätten, aber die für das Hörspiel jetzt goldrichtig sind.
Man hört bei der Musik sofort, von wem sie kommt.
Björn Both: Santiano, unbedingt. Aber ein bisschen harmloser.
Demnächst gehen Sie auf Akustik-Tour.
Björn Both: Ja, Akustik-Alben machen sie ja gerade alle. Wir versuchen, damit eine Tournee zu fahren mit 30 Konzerten.
Ist der Münchner Auftritt auf dem Tollwood-Festival nächstes Jahr auch akustisch?
Hans-Timm Hinrichsen: Das wird wieder volles Programm, mit E-Gitarren und allem, was dazugehört.
Die Bandgründung war ja 2011 – und man hatte gleich das Gefühl, als würden Sie schon lange zusammenspielen. Woher kommt das?
Björn Both: Wir sind ja alle aus dieser schleswig-holsteinischen Musikszene, wir kennen uns ja schon länger. Wir hatten nur bis zu dem Zeitpunkt nie eine Band zusammen.
Hans-Timm Hinrichsen: Und wir gehen alle mit der gleichen Einstellung auf die Bühne. Wenn jeder anders drauf ist, dann hast du da so einen Klöterhaufen, da kann auch nix draus werden.
Björn Both: Wir sind im Prinzip fünf Frontleute aus anderen Bands, die – ohne zu fett auf die Tonne zu hauen – schon so ziemlich mit allen Wassern gewaschen sind. Deswegen dauerte es auch gar nicht so lange, wir hatten ja alle unser Handwerk gelernt.
Hans-Timm Hinrichsen: Und man muss natürlich richtig Bock drauf haben!
Wie viel Rock ‘n’ Roll gibt es eigentlich noch im fortgeschrittenen Alter?
Björn Both: Du nimmst halt nicht mehr jeden Tresen mit. Aber jeden dritten. Wir sind alle um die 50, wir haben auch alle wilde Zeiten gefeiert. Wir haben aber auch nie so ein fettes Projekt gemacht, das einen körperlich und mental so fordert. Diese Rock ‘n’ Roll-Klischees sind irgendwann ad acta, sonst kannst du diese Nummer hier nicht mehr durchziehen.
Axel Stosberg: Die größten Rock ‘n’ Roller sind inzwischen Vegetarier und Anti-Alkoholiker. Sonst stehst du das einfach nicht durch.
Björn Both: Du hast deinen Ernährungsberater mit, dann geht es los mit vegan, dann wird Sport gemacht. Und in der Whiskeyflasche ist Apfelsaft.
Hörspiel für Kinder: „König der Piraten“ (2 CDs), das Buch erscheint im Frühjahr. Live-Album: „Von Liebe, Tod und Freiheit. Waldbühne Berlin“ (2 CDs, Universal), Konzert: am 1. Juli 2017, Tollwood-Musikarena, Karten unter % 0700-38 38 50 24