Die musica viva im Herkulessaal
In der Kürze liegt die Würze - auch in der Neuen Musik. Selten wurde das deutlicher als in der letzten musica viva des Bayerischen Rundfunks im so gut wie ausverkauften Herkulessaal der Residenz. Da plätscherten die "sparks, waves and horizons" von Minas Borboudakis munter 20 Minuten mit allerlei hübschen Geräuschen, Klangbildern und Instrumentationseffekten, aber ohne erkennbare Struktur vor sich hin.
Glühwürmchen am Balkan
Man hätte das womöglich erheblich freundlicher goutiert, wäre zum Unglück dieses solide gemachten Stücks vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks nicht zuvor "Mali svitac" von Milica Djordjević gespielt worden. Das Stück der 1984 in Belgrad geborenen Komponistin soll von Balkan-Glühwürmchen handeln und beginnt tatsächlich mit tonmalerischem Insektengesumm. Dieser musikalische Impressionismus steigert sich in fünf Minuten zu einem Angriff fliegender Dinosaurier aus dem Weltall. Und ehe man sich's versieht und über die Anflüge von Hans Zimmer oder John Williams an unerwarteter Stelle wundert, ist das Stück auch schon wieder vorbei.

Nach der Pause erklang noch "Čvor" der gleichen Komponistin: ein Stück, das ebenfalls ein paar Minuten lang düsterste Tiefen im Blech und Schlagwerk und aus dem letzten Flöten-Loch pfeifene Höhen kontrastierte. Auch sagte kurz und knapp mehr als Borboudakis in der vierfachen Zeit.
Der Bratscher als Schmerzensmann
Danach brauchte das im Vergleich ebenfalls ausgesprochen schwatzhafte Viola-Konzert von Sofia Gubaidulina wieder eine langweilige halbe Stunde, um einen Choral zu zerlegen und den (exzellenten) Bratschisten Lawrence Power den spirituellen Schmerzensmann mimen zu lassen. Am Ende weitet sich dieses in jeder Hinsicht unökonomische Stück auch noch zu einem Concerto grosso mit verstärktem Cembalo, das für wenige Sekunden Lautsprecher und einen Klangregisseur erfordert.
Am Anfang dirigierte Duncan Ward - ein das Orchester mit Lust an der Musik animiernder Neuzugang unter den Dirigenten der Reihe - "Central Park in the Dark" von Charles Ives. Dem Briten gelang es, das mit Akademisten und Aushilfen stark durchsetzte Orchester zu jener gelassenen Ruhe zu bewegen, die bei diesem Stück eminent wichtig ist, den Musikerinnen und Musikern aber oft sehr schwer fällt. Und auch Ives wusste 1906 schon: Es ist besser, eine Idee kurz aufblitzen zu lassen, statt sie eine halbe Stunde oder noch länger zu Tode zu reiten.
In der nächsten musica viva dirigiert François-Xavier Roth am 12. April im Herkulessaal Werke von Elizabeth Ogonek, Iannis Xenakis und Francesco Filidei