Die Medizinfrau des Blues
Bottleneck-Virtuosin, Politaktivistin, Blues-Rock-Enthusiastin: Der Anruf kommt aus Marine County, 20 Minuten nördlich von San Francisco. Im Februar hat Bonnie Raitt für ihr Album „Slipstream“ einen Grammy bekommen. Am 3. Juli führt sie ihre Tour in den Circus Krone.
AZ: Mrs. Raitt, wenn man wie Sie spielen will, wie muss man da die Gitarre stimmen.
BONNIE RAITT: Die meisten meiner Songs sind in einer offenen A- oder G-Stimmung. Manche sind auch in E- oder G-Stimmung. Meine Hauptgitarre, die braune Stratocaster, ist meistens auf A gestimmt.
Ihre Lieblingsgitarre, die Brownie Strat, haben Sie 1969 gekauft.
Ich erzählte einem Freund, ich suche eine Elektrische, und er sagte, er hätte eine, die ich kaufen könnte. Wir haben uns nach einem Gig auf der Straße getroffen. Ich habe damals 120 Dollar gezahlt. Der Preis war gut, und mir gefiel, dass sie nicht lakiert war. Das machte sie ungewöhnlich. Ich habe sie, als ich sie kaufte, gar nicht probegespielt, aber als ich sie einstöpselte, war da eine Verbindung, die im Himmel geschlossen wurde.
Wer hat Ihnen das Bottle-neck-Spiel beigebracht?
Das hab’ ich mir selbst beigebracht. Ich hörte Platten und versuchte herauszufinden, wie es funktioniert. Als ich sechs war, hatte mein Großvater mir glücklicherweise gezeigt, wie man auf einer hawaiianischen Lap-Steel-Gitarre spielt. Er war Methodistenpfarrer und spielte Hymns auf der Lap Steel. Bei John Hammond jr. hörte ich zum ersten Mal eine Slide-Guitar auf einer Platte, die „Blues At Newport“ hieß. Ich rubbelte das Etikett von einem Fläschchen Erkältungsmedizin und steckte es mir auf den Mittelfinger. Das ist jetzt nicht der praktischste Finger, aber als ich das herausfand, war es schon zu spät.
Sieben Jahre nach Ihrem letzten Album haben Sie jetzt „Slipstream“ herausgebracht. Gab es einen besonderen Moment, als Sie wussten, ich gehe wieder ins Studio?
2005 begannen wir eine Tour durch die Staaten, und dann international. Und dann bildete sich bei meinem Bruder, der gegen Hirnkrebs kämpfte, ein neuer Tumor und er verlor die Sehfähigkeit und die Fähigkeit zu laufen. Er starb 2009. Kurz davor hatte ich meine Eltern verloren. 2010 entschied ich mich, eine Pause zu machen und zu warten, bis ich Musik richtig vermisste. Der Produzent Joe Henry rief mich genau zu der Zeit an, als ich ihn auch kontaktieren wollte. Ich sagte: „Ist ja lustig, dass du anrufst, ich hätte da ein, zwei deiner Songs, die ich gerne mit dir aufnehmen würde.“
Sie haben als junges Mädchen auf dem Radcliffe College Gesellschaftswissenschaft und Afrikanistik studiert. War das auch ein Weg, um mit afroamerikanischer Musik in Kontakt zu kommen?
Ich wurde als Quäker erzogen, einer Glaubensgemeinschaft, die stark auf Frieden und Gleichheit hinarbeitet. Meine Liebe zu Afrika entzündete sich an der Kultur und daran, was ihnen die Erste Welt mit der Kolonialisierung angetan hatte. Gleichzeitig war ich ein Kind meiner Zeit, und Rhythm and Blues und früher Rock’n’Roll liefen im Radio. Es war eine Art zufällige Verbindung.
Das Bluesrevival als Betreten eines vergessenen Landes?
Ich denke schon. Die alten Delta-Blues-Künstler wurden wiederentdeckt und zum Newport Folk Festival gebracht. Und in Clubs in Chicago hingen Typen wie Paul Butterfield und Elvin Bishop mit Muddy Waters und James Cotton ab.
Man stellt sich das für ein junges Mädchen sehr aufregend vor, diese Typen zu treffen, die Ihnen Blues-Promoter Dick Waterman vorstellten.
Son House als Collegemädchen zu begegnen, war ein Geschenk, das ich nie zurückzahlen kann. Danach traf ich Fred McDowell, Skip James, „Big Boy“ Arthur Crudup, Buddy Guy, Junior Wells – alle, die Dick buchte.
Wie war Son House denn?
Ich war zu jung und hatte zu viel Ehrfurcht, als dass ich ihn als Normalsterblichen gesehen hätte. Er nahm epische Dimensionen für mich an. Er hatte ein Alkoholproblem, und es gab Zeiten, da war er nicht er selbst. Aber wenn er er selbst war, hatte er große Würde, Intelligenz und Seele.
Haben Künstler auch gesellschaftliche Vorbildfunktion?
Ich bin zuerst Bürger und in zweiter Linie Musikerin. Für mich ist es wichtig, für Gruppen zu sprechen, die keine Öffentlichkeit haben. Die Öl- und Atomindustrie kann sich Lobbyisten kaufen. Bei uns in Amerika ist das ja heutzutage mehr eine Auktion als eine Wahl.
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