Die Kunst vitaler Balance

Gleich zwei Stars in der Münchner Philharmonie: Martha Argerich – und die Kremerata Baltica mit Mendelssohn, Raskatow, Weinberg und eben Beethoven
Adrian Prechtel |
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Göttlich, aber eben keine Diva, sondern nur auf das Wesentliche konzentriert: Martha Argerich.
MM Göttlich, aber eben keine Diva, sondern nur auf das Wesentliche konzentriert: Martha Argerich.

Gleich zwei Stars in der Philharmonie: Martha Argerich – und die Kremerata Baltica mit Mendelssohn, Raskatow, Weinberg und eben Beethoven

Auch wenn die meisten auf den Star am Ende warteten – das Warten bis über die Pause hinweg war keines. Denn die Kremerata Baltica hielt das Publikum über eine Stunde in Atem, einmal klassisch, dann heiter und wieder ernst.
Mendelssohn Bartholdys Streichersymphonie Nr. 7 eröffnete das Konzert in der nahezu ausverkauften Philharmonie. Und gleich hierbei konnte man die einnehmende Stärke des Orchesters spüren und hören. Vom Konzertmeister Dzeraldas Bidva temporeich angeführt, legte das junge Orchester großes Tempo vor und spielte an der schwierigen Grenze zwischen Tempo und Präzision – und überzeugte durch Genauigkeit und Transparenz. Es war der Idealklang für ein Werk, das der junge Felix mit erst 13 Jahren komponierte. 36 Jahre war Tschaikowsky, als er ein Jahr lang zu jeder Ausgabe der Zeitschrift „Nouvelliste“ eine kleine Monatskomposition als Auftragswerk ablieferte.

Moderne Klassik, aber konservativ

Die Essenz jeder dieser Monate nahm sich der russische Komponist Alexander Raskatow im Jahr 2001 vor und schuf einen zwölfteiligen Jahreszyklus unter dem heiteren, sanft ironischen Titel „The Season’s Digest“. So entstand auf der Basis der Klassik – mit Glissandi, Schlagwerk, präpariertem Klavier und einer Tschaikowsky-Original-Schluss-Einspielung über Boxen – ein origineller Jahresbogen, in dessen Karnevals-Februar sich die Kontrabassisten auch mal gegenseitig mit dem Bogen eins überbrieten, eine Kindertrompete, gespielt vom Konzertmeister, zur September-Jagd blies. Es ist eine versöhnliche, konservative Moderne, intelligent, aber nie das Publikum fordernd. Und die Kremerata spielte passend heiter, behielt aber eben auch die nötige Strenge, um Faschingskonzert-Klamauk zu vermeiden.

Der klare, junge Stil der Kremerata passt ideal zu Argerich

Mieczyslaw Weinbergs ernste Sinfonetta von 1960 zeigte erneut, dass die russische Moderne durch ihre Bindung ans Volkstümliche konservativer bleiben konnte und politisch auch musste. Strawinskys „Sacre“ klang an, das Groß-Symphonische aber war zurückgenommen zugunsten eines ernsten kammermusikalischen Klangs. Und dann ... dann kam sie: Martha Argerich – gewohnt scheu, das Publikum nie ins Auge fassend.
Was dann am Klavier und zwischen ihr und Orchester passierte, ist eine bewegende und begeisternde Lehrstunde, wie Beethoven (Konzert für Klavier und Orchester Nr.2) gespielt werden muss: ohne Manierismen, innig, nie donnernd, aber bestimmt. Und genau dazu passten der klare Stil und junge Klang der Kremerata Baltica eben perfekt. Und kurz leicht umgewandt, nur mit sanftem Einsatz-Nicken verständigt sie sich mit dem Orchester, das so mit ihr zusammenfließt.
Bei Argerich springen einem die Töne nie entgegen, sondern bleiben – wenn es in die tragenderen tieferen oder anderseits die durchdringenderen höheren Lagen geht – immer wunderbar gemittet. Und in den zarten Solopartien spürt sie den Tönen nach, ohne je das Tempo romantisierend zu drosseln, ohne akustische Theatralik. So entsteht eine strenge, dabei wunderbar leichte Intensität – göttlich!

Göttlich -  das Publikum tobte nicht , sondern brachte bewegt Standing Ovations

Das Publikum tobte passenderweise nicht, sondern ging ergriffen zu stehenden Ovationen über. Argerich gönnte dann noch eine Zugabe aus der d-moll Sonate K 141 von Scarlatti, eines ihrer Lieblingsstücke. Den Abschluss des Abends überließ sie wieder dem Orchester und setzte sich als Zuhörerin hinten dazu. Eine faire, liebevolle Geste für den zweiten Star des Abends: die Kremerata Baltica. Adrian Prechtel

 

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