Interview

Die Kraft des Friedens

Vladimir Kornéev über die Songs von Edith Piaf und Kurt Weill
Adrian Prechtel
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Vladimir Kornéev wurde 1987 in Georgien geboren. Im Alter von sechs Jahren kam der heutige Konzertpianist, Sänger und Schauspieler nach Deutschland, wo er später die Theaterakademie August Everding besuchte. Als Schauspieler war er im "Polizeiruf 110" sowie in der Netflixserie "The Empress" zu sehen.
IMAGO/Funke Foto Services 3 Vladimir Kornéev wurde 1987 in Georgien geboren. Im Alter von sechs Jahren kam der heutige Konzertpianist, Sänger und Schauspieler nach Deutschland, wo er später die Theaterakademie August Everding besuchte. Als Schauspieler war er im "Polizeiruf 110" sowie in der Netflixserie "The Empress" zu sehen.
"Piaf-Konzerte waren auch immer wie eine große Messe", sagt Vladimir Kornéev und will dieses Gefühl auch nach München bringen.
IMAGO/Funke Foto Services 3 "Piaf-Konzerte waren auch immer wie eine große Messe", sagt Vladimir Kornéev und will dieses Gefühl auch nach München bringen.
Vladimir Kornéev in der Berliner Bar jeder Vernunft.
IMAGO/Funke Foto Services 3 Vladimir Kornéev in der Berliner Bar jeder Vernunft.

Der heutige Abend zusammen mit dem Münchner Rundfunkorchester heißt "Le droit d'aimer - Das Recht zu lieben" und bezieht sich auf das Leben und die Chansons von Edith Piaf. "Youkali" wiederum ist ein Abend über Kurt Weill, den Kornéev Mitte November in München singt.

AZ: Herr Kornéev, wie verändern sich die Songs von Edith Piaf, wenn sie ein Mann singt?

VLADIMIR KORNÉEV: Ich denke das Geschlecht sollte keine Grenzen für das Interpretieren von Liedern darstellen. Vielleicht kommt man als Mann weniger in die Versuchung, sie klanglich zu kopieren. Trotzdem spüre ich in meiner Stimme, ja im Kern meines Körpers, eine klangliche Kerndramatik, die ich brauche, um mit offener und direkter Stimme, Piaf zu singen.

Braucht man eine bestimmte Lebenserfahrung für die Lieder?

Ihr Leben war sehr extrem, faszinierend und tragisch. Wie bei vielen anderen Künstlern, gibt es womöglich ähnliche Themen. Ich bin in Georgien in sehr armen Verhältnissen geboren, bin als Kind als Flüchtling nach Deutschland gekommen, hatte viel Gewalt erlebt im Krieg in Georgien und ich habe auch wie Piaf eine Liebe verloren bei einem Unfall - einem Autounfall.

Berührt Sie das beim Singen?

Ich erlebe ich oft Bilder meines eigenen Schicksals und kann mich dann irgendwie durch das wohlige Gefühl meiner Stimme in mir in eine Art Versöhnung mit allem schwingen. Piaf-Konzerte waren, denke ich, wie eine große Messe, wo die Leute alles - auch auf ihr - abgeladen haben, um zu heilen. Sie sang von Liebe, Verlust, Schmerz und Lebenslust. Und wenn ich beim Singen ihre Themen für das Publikum nachfühle, entsteht vielleicht auch ein Raum für Heilung.

Warum singt ein georgisch-russischer Sänger Lieder einer Nationalheiligen Frankreichs?

Über so etwas denke ich nicht nach. Musik ist für alle da. Ich fahre diese Woche nach Paris und treffe Charles Dumont den Komponisten, der für Piaf Hits wie "Non je ne regrette rien" geschrieben hat. Ich singe und spiele ihm meine Interpretationen vor. Darauf freue ich mich sehr, fühle mich sehr geehrt und bin gerührt, dass ich von ihm eingeladen wurde.

Sie sind auch klassisch ausgebildeter Pianist und haben die Musicalklasse der Bayerischen Theaterakademie besucht.

Meine klassische Klavierausbildung hat den Vorteil, dass ich selbst komponiere und mich begleite, oder mit meinem Pianisten Markus Syperek fürs Orchester arrangiere. Am Mittwoch trete ich mit dem Münchner Rundfunkorchester im Prinzregententheater auf. Das ist wunderbar, wenn sich diese Fülle, diese vielseitigen Nuancen und Frequenzen eines so fantastischen Orchesters mit meiner Stimme verbinden. Jedes Chanson löst einen Film in meinem Kopf aus. Und mit einem Orchesterarrangement kann ich diesen Film in allen Farben in die Realität bringen. Im November bin ich dann im Silbersaal des Deutschen Theaters und singe Kurt Weill ganz intim nur mit meinem Pianisten am Flügel, das genieße ich auch sehr.

Was würde Weill zu Ihren Interpretationen sagen?

Das weiß ich nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich gewünscht hat, dass seine Songs heute noch intensiv und berührend aufgeführt werden - mit größtem Respekt vor seinem Werk und doch mit einer persönlichen Herangehensweise.

Spüren Sie von Ihrer Herkunft her eine besondere Betroffenheit, wenn jetzt der Ukrainekrieg wütet?

Der Krieg trifft mich natürlich und wirkt auf mich ein. Und als die Flüchtlingsströme kamen, bin ich zum Berliner Hauptbahnhof gegangen und habe Wochen lang als Freiwilliger geholfen und übersetzt. Ich habe mich nie als besonders georgisch, russisch oder deutsch gefühlt. Ich bin Humanist und ich glaube wirklich an den Frieden - und das er auch Kraft hat. Ich bin als Künstler und selbst Überlebender eines Krieges dem Frieden und der Empathie verpflichtet.

Wie drückt sich das bei Ihnen aus?

Ich habe zum Beispiel ein Antikriegslied im Repertoire: "Zhuravli - Kraniche" komponiert von Yan Frenkel, einem sowjetisch-ukrainischen Komponisten jüdischer Abstammung, der den Zweiten Weltkrieg überlebte. Es geht um die Soldaten, die - vollkommen sinnlos - im Krieg gefallen sind. Ihre Seelen verwandeln sich in Kraniche, die wir manchmal aus dem Himmel rufen hören. Es ist ein Lied, dass mein Vater immer gehört hat, der im Krieg schwer verwundet wurde - und dieses russische Lied hat ihn getröstet. Denn die russische Sprache, die russische Literatur, die russische Kunst und Musik haben mit dem Krieg gegen die Ukraine nichts zu tun und dürfen dafür nicht in Mithaft genommen werden.

Haben Sie erlebt, dass man Ressentiments gegen Sie wegen Ihrer Herkunfthatte wegen Ihrer Herkunft?

Als halb Georgier halb Russe, ein russisches Friedenslied zu singen, sollte eigentlich kein Problem darstellen. Dennoch wollte man mir schon mal vergeblich verbieten, das Lied auf der Bühne eines Straßenfestivals zu singen, bei dem ich einen PR-Auftritt hatte. Und Plakate von mir sind auch schon beschmiert worden, weil ich einen russischen Namen habe. Das sind aber seltene Fälle und in dieses Energiefeld begebe ich mich nicht. Die Freiheit auf der Bühne ist für mich das höchste Gut. Und ich freue mich auf das Prinzregententheater heute wie auf den Silbersaal im November - der Ort, an dem ich 2014 meine erste CD mit einem Konzert vorgestellt habe. Ich freue mich immer, in München zu sein, weil ich diese Stadt mit meinem Studium und meinem Reifen zum Künstler verbinde.

Mittwoch, 25. Oktober, 19.30 Uhr, Prinzregententheater: "La vie en rose - Eine Hommage an Edith Piaf mit dem Münchner Rundfunkorchester, Karten zu 19 - 52 Euro unter www.rundfunkorchester.de; Dienstag, 14. November, 20 Uhr, Silbersaal des Deutschen Theaters: "Youkali" - Vladimir Kornéev singt und interpretiert Kurt Weill, Karten zu 39 Euro unter www.deutsches-theater.de

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