Die ältesten Philharmoniker

Heute gastiert ein Orchester aus dem norwegischen Bergen im Prinzregententheater – mit einem Cellisten aus München
Christoph Forsthoff |
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Die Cellogruppe des Bergen Philharmonic Orchestra. Der Dritte von links ist der Münchner Walter Heim.
Oddleiv Apneseth Die Cellogruppe des Bergen Philharmonic Orchestra. Der Dritte von links ist der Münchner Walter Heim.

"Fünfmal so teuer wie in München ist das Erdinger Weißbier hier!“ Für einen echten Bayern wie Walter Heim war diese Erkenntnis ein harter Schlag, als der Cellist damals nach Bergen kam – doch mit einem Schmunzeln fügt der 58-Jährige hinzu: „Aber irgendwie habe ich hier trotzdem überlebt.“

Und das offenbar sehr gut. Denn sonst hätte es den Mann nicht mehr als die Hälfte seines Lebens in der norwegischen Hafenstadt im hohen Norden gehalten. Die ist an diesem späten Herbstnachmittag in ein unwirklich schönes rosa Licht getaucht und zeigt sich dem Betrachter von ihrer schönsten Seite: Die bunten Holzhäuser leuchten in der untergehenden Sonne, und vom 400 Meter hohen Stadtberg Fløyen wandert der Blick hinab auf die sechs umliegenden Berge und eine unwirklich schöne Fjordlandschaft.

Direkt verliebt

„Man fühlt sich hier überall der Natur unglaublich nahe – ich liebe das hier“, schwärmt Edward Gardner. Und lässt seiner Liebeserklärung an die Landschaft gleich noch eine an „sein“ Orchester folgen, denn der Brite leitet nun schon in der zweiten Saison als Chefdirigent die Bergener Philharmoniker: „Es ist ein wirklich sehr spezielles, kammermusikalisch geprägtes Orchester, das einen sehr inspiriert und in dessen wunderbar warmen Streichersound ich mich bei meinem ersten Konzert direkt verliebt hatte.“

2009 war das, Brahms’ Erste stand auf dem Programm – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Was zweifellos auch an der lockeren Art des Engländers liegt, der eher auf Eigenverantwortung denn auf Pultdiktatur setzt. „In Norwegen muss man Ansagen viel direkter und auffordernder machen – was allerdings den Vorteil hat, dass man sagen kann, was man denkt.“

Ein demokratisches Grundverständnis, das die norwegische Gesellschaft auch sonst prägt – und Heim von Anfang an bei den Bergener Philharmonikern begeistert hat: „Im Gegensatz zu vielen anderen Orchestern herrscht hier tatsächlich Basisdemokratie, hat jeder von uns die Möglichkeit, sich an der Programm – wie der Dirigentenauswahl zu beteiligen.“

Stolz auf das Orchester

Und das ist dem Ensemble gerade in den letzten Jahren offenbar gut bekommen: Europas ältestes philharmonisches Orchester waren die Norweger schon seit 251 Jahren – inzwischen gilt der Klangkörper auch als einer der spieltechnisch besten des Kontinents.

Entsprechend groß ist die Wertschätzung in Bergen, wie Gardner feststellt: „Klassik ist hier in der Bevölkerung sehr wichtig, und die Menschen haben ein Gespür für die Bedeutung dieser Musik – vor allem aber ist es, anders als etwa in Großbritannien, auch für die Politiker hier ‚ihr eigenes Orchester’, auf das sie stolz sind.“

So wie auf den musikalischen Nationalheiligen Edward Grieg, der hier dereinst nicht nur geboren ward und später das Orchester für zwei Jahre leitete, sondern auch auf einer felsigen Landzunge südlich von Bergen eine wilde Bergkuppe erwarb und seinen Traum vom eigenen Heim verwirklichte. Troldhaugen nannten der Komponist und seine Frau Nina das Refugium, das heute ein Museum ist und zu dessen Füßen sich noch immer jene Hütte findet, in die sich Grieg zum Schreiben zurückzog, um den Blick oft stundenlang über das Wasser schweifen zu lassen. „Wenn man dort steht“, sinniert Gardner, „wird einem klar, woher dieses Wilde und bisweilen Archaische in Werken wie etwa ‚Peer Gynt’ kommt – seit ich diesen Ort kennengelernt habe, verstehe ich Griegs Musik wie auch das Orchester viel besser.“

Multinational geprägt

Was nun nicht heißt, dass der 41-Jährige den Sohn der Stadt ständig und allerorten aufs Programm heben würde. Dafür ist sein Orchester viel zu multinational geprägt – ob der geringen Einwohnerzahl der Landes und der Randlage der alten Hansestadt haben sich in den Reihen der Bergener Philharmoniker Musiker aus 22 Nationen zusammengefunden. Außerdem weiß auch der Dirigent nur zu gut, dass es sich international mit Grieg eher schwer punkten lässt.

Und so ist auf der Deutschlandtour mit dem Cellisten Truls Mørk das Programm auch international: Wagners „Rienzi“-Ouvertüre, Edward Elgars Cellokonzert und die „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz spielen die Norweger in München. Von der Natur schwärmen lässt sich für die Musiker immer noch in Worten – und das sogar im engsten Familienkreis wie im Falle Walter Heims: Geht es doch neben Bremen und Berlin auch nach München, wo dessen Geschwister bis heute leben und sein Bruder Herbert bei den Philharmonikern Cello spielt. Und wo es dann endlich auch mal wieder ein Weißbier zum vernünftigen Preis geben wird.

Prinzregententheater, heute, 18. November, 20 Uhr, Karten von 32 bis 69 Euro unter Telefon 089 / 98 292 80

 

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