Der Dirigent Stéphane Deneve setzt ein Zeichen der Humanität

Leonidas Kavakos und die Philharmoniker unter Stéphane Deneve mit Bartok, Berlioz und Rachmaninow im Gasteig
von  Michael Bastian Weiß

Leonidas Kavakos und die Philharmoniker unter Stéphane Denève mit Bartok, Berlioz und Rachmaninow im Gasteig

Die grausamen Morde an den Mitarbeitern der französischen Zeitschrift „Charlie Hebdo“ haben die Welt zutiefst erschüttert. Menschen wurden getötet, weil sie Kunst machten, kritische, satirische, mithin freie Kunst. Jeder, der mit Kunst provoziert, das ist die grausam klare Botschaft, kann von einzelnen Personen, denen diese Kunst nicht passt, persönlich belangt werden.

Dass Religion dabei als Scheingrund für das Inhumane missbraucht wird, ist nur für aufgeklärte Menschen sichtbar. Doch auch diese sind durch verblendete Inhumanität verletzbar. Das muss auch eine einfache Konzertkritik reflektieren: weil sie mit frei komponierter Musik einen Gegenstand behandelt, der nun wieder ungeahnt stark gefährdet scheint.

Es ist daher gut, dass der Dirigent Stéphane Denève zu Beginn des Konzertes in der Philharmonie gemeinsam mit seinem Solisten und den Münchner Philharmonikern Solidarität übt. Mit wenigen Worten drückt er die allgemeine Fassungslosigkeit aus, ruft zu einer Schweigeminute auf und postiert zu Füßen seines Pultes das solidarische Emblem „Je suis Charlie“ – „Ich bin Charlie“. Doch vor allem durch ihre Musik vermögen es Denève, das Orchester und der Violinsolist Leonidas Kavakos, erfahrbar zu machen, wie machtvoll schöne Kunst zu einem Sinnbild für Humanität wird.

Selbstbewußtsein ohne Eitelkeit

Kaum ein Werk scheint dafür besser geeignet als Béla Bartóks zweites Violinkonzert. Der reife Komponist ordnet, nach dem Durchgang durch wilde Gewässer, seine Einfallsfülle in freier Gelassenheit an. Interessant ist zu hören, wie Leonidas Kavakos einen Tick leidenschaftlicher agiert als Frank Peter Zimmermann in seiner ebenfalls meisterlichen jüngeren Interpretation, ohne jedoch je an Transparenz zu verlieren. Der Ton des Griechen ist pastos und sinnlich, aber stets auf ein fast drahtiges Zentrum hin orientiert, wodurch er sehr gut kontrollierbar ist. Dazu hat Kavakos eine blühende Phantasie, welche sowohl die eigentümlich stolze Haltung des Kopfsatzes als auch die andächtige Stimmung des „Andante tranquillo“ bildhaft anschaulich macht: Dieses Gebet hat Kraft, ist aber völlig frei von Gewaltsamkeit.

So könnte man im Ganzen auch die Haltung des fabelhaften Stéphane Denève charakterisieren. Der Franzose, Chef beim Radio-Sinfonieorchester in Stuttgart und an der Glasgower Oper, dirigiert ohne jede Eitelkeit, doch mit einem deutlich spürbaren Selbstbewusstsein, das sich merklich auf das Orchester überträgt. Jede einzelne seiner Bewegungen hat Sinn. Die düstere Ouvertüre von Héctor Berlioz’ zur unvollendeten Oper „Les Francs-Juges“ (Die Femerichter) präsentiert die Philharmoniker in warm strahlender Pracht, mit spritzigen Streichern, die hier sogar einen leicht französischen Zungenschlag haben, und einem konkurrenzlos fülligen Blech.

In Sergej Rachmaninows „Symphonischen Tänzen“ begeistert die fast orgelgleiche Ausgewogenheit der Klangtotale so sehr wie die äußerst bewusste Phrasierung. Denn nicht zuletzt ist Denève einer jener seltengewordenen Dirigenten, deren Zeichengebung so sicher und eindeutig ist, dass stets ein wunderbar freies Rubatospiel möglich ist.

Eben diese Freiheit der Kunst gilt es zu verteidigen, aber auch zu nutzen. Erst dann können wir sagen: „Wir sind alle Charlie!“.

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