Der belgische Regierungschef trifft Lahav Shani

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„Ich bin hierhergekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich die Absage des Konzerts in Gent aufs Schärfste verurteile“, sagte der belgische Ministerpräsident Bart de Wever bei der Generalprobe des Gastspiels der Münchner Philharmoniker im Konzerthaus Essen. De Vewer sprach in seiner auf Deutsch gehalteten Ansprache von einer „Schande“, die den Ruf seines Landes beschädigt habe. Antisemitismus habe keinen Platz in Belgien.
Zuvor hatte das Flanders Festival Ghent die kurzfristige Absage des für den 18. September geplanten Konzertes damit begründet, dass Shani auch Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra sei. Der in Tel Aviv geborene und in Berlin lebende Musiker grenze sich nicht eindeutig genug von der israelischen Regierung ab, teilte das Festival mit.
De Wever hatte die Ausladung bereits am Freitag als „rücksichtslos“ und „unverantwortlich“ bezeichnet. Der Regierungschef besuchte das Konzert zusammen mit Martin Kotthaus, dem deutschen Botschafter in Belgien. In einer Erklärung, die Philharmonie-Intendantin Marie Babette Nierenz vor Konzertbeginn verlas, hieß es, De Wever habe mit Shani auch persönlich gesprochen.
Die Interessen unschuldiger Zivilisten
Anschließend postete der belgische Regierungschef auf X ein Foto mit Shani und distanzierte sich gleichzeitig vom harten Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza. Er habe unmittelbar nach dem Terror der Hamas vom 7. Oktober 2023 die Befürchtung geäußert, die israelische Regierung könnte sich in einen endlosen gewaltsamen Konflikt im Gazastreifen hineinziehen lassen. Das habe sich bewahrheitet, „mit allen damit verbundenen schrecklichen Folgen“. Deshalb unterstütze Belgien alle von der Europäischen Union vorgeschlagenen gezielten Sanktionen zur Beendigung des Krieges. „Die Interessen unschuldiger Zivilisten, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Glauben, stehen dabei an erster Stelle.“

Bundeskanzler Friedrich Merz lobte ebenfalls auf X De Wever für seine Solidarität mit dem Dirigenten. „Ich danke dem belgischen Premierminister für sein starkes Zeichen der Solidarität, das er mit dem Besuch bei Lahav Shani und den Münchner Philharmonikern in Essen gesetzt hat“, schrieb Merz. „Wir dürfen diesem blanken Antisemitismus keinen Platz geben“, schrieb Merz direkt an De Wever gerichtet.
Angst vor Aktivisten
Die Philharmoniker sind inzwischen nach Frankfurt weitergereist, wo sie am Sonntag die Konzertsaison in der Alten Oper eröffneten. Am Montag folgen sie der spontanen Einladung des Musikfests Berlin zu einem Auftritt im Berliner Konzerthaus.

Das Festival in Gent bleibt bei seiner Position: Die Voraussetzung dafür, die Ausladung wieder rückgängig zu machen, wäre eine Verurteilung des israelischen Vorgehens in Gaza durch Shani bis zum Montag, so der Festivalleiter Jan Briers am Freitag im flämischen Fernsehen. Er gestand in diesem Zusammenhang ein, das Konzert nach Drohungen von Aktivisten abgesagt zu haben, den Ablauf des Festivals zu stören.
Bries bezeichnete das Israel Philharmonic Orchestra in diesem Zusammenhang als „Staatsorchester“. Das trifft nur sehr bedingt zu, weil das Orchester nur geringe staatliche Mittel erhält, die dem Vernehmen nach 2024 zwischen 10 und 12 Prozent seines Etat betrugen. Im Internet ist von 1,2 Millionen Euro seit 2023 die Rede, was im Vergleich zu den jährlichen 29 städtischen Millionen für die Philharmoniker sehr wenig ist. Der Rest wird durch den Tickets, Sponsoren sowie nationale und internationale Förderer bestritten.
Haltung und Besonnenheit
Nach den Bamberger Symphonikern, der Kölner Philharmoniem dem Münchener Kammerorchester und Berliner Orchestern hat sich nun auch das BR-Symphonieorchester mit Shani solidarisiert. Die Musikerinnen und Musiker äußern ihre „Sorge“ und ihr „Unverständnis“. Angesichts der dramatischen Lage im Nahen Osten brauche es „Haltung und Besonnenheit - nicht eine Gesinnungsprüfung für Künstlerinnen und Künstler“.

Die Mitteilung auf Facebook zitiert auch den Chefdirigenten Simon Rattle. „Angesichts der Schrecken, die sich in Gaza offenbaren, und der Schrecken vom Oktober 2023 ist es nicht überraschend, dass auch Konzertveranstalter in schwierige Situationen kommen“, lässt er mitteilen. „Gleichzeitig ist es für mich aber eindeutig, dass in diesem Fall ein schwerwiegender Fehler gemacht wurde bzw. wird. Lahav Shani hat sich immer als leidenschaftlicher Verfechter von Frieden und Integration präsentiert. Daher sollte diese Entscheidung umgehend revidiert werden.“
„Kurzsichtig und dumm“
Auch die Schriftstellerin Eva Menasse hat sich zu Wort gemeldet. Absagen und Ausladungen dieser Art verschöben die handfesten Konflikte der Politik auf ein Feld, mit dem sie nichts zu tun haben, sagte sie auf NDR Kultur. Die Absage sei ein rein symbolischer Akt, der allen Beteiligten nichts gebe, außer Gelegenheit zur Empörung. So etwas führe zu weiterer Polarisierung in der Debattenkultur.

Den Ausdruck „Antisemitismus“ wolle Menasse für die Ausladung nicht benutzen, da der Begriff seit dem 7. Oktober 2023 „inflationär benutzt“ werde. Die Entscheidung sei jedoch in ihren Augen „kurzsichtig und dumm“. Zugleich erinnerte Menasse daran, dass palästinensische Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit „marginalisiert“ seien, doch dazu sage die Kulturpolitik wenig.
Auch die Debatte um Auftritte der Sopranistin Anna Netrebko sieht Eva Menasse kritisch. „Wir kommen nicht weiter, wenn wir beginnen, Sänger und Musiker Gesinnungsprüfungen zu unterziehen, von denen abhängt, ob sie auftreten dürfen. Das ist falsch und das ist ideologisch verbiestert!“