Der Anbruch einer starken Ära: Das sind die Pläne des BR-Symphonieorchester mit Simon Rattle
München - Wenn auf einer Pressekonferenz ein weltweit führender Dirigent bis zum Ende anwesend ist, darf man dasselbe auch von seiner arbeitsgebenden Intendanz erwarten. Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks, war wieder verschwunden, als die Fragerunde beginnen sollte: aus "Termingründen", wie es hieß.
Doch welcher Termin kann wichtiger sein als eine Präsentation, bei der das Symphonieorchester und der Chor des BR gemeinsam ihre erste Spielzeit 2023/24 unter ihrem neuen Chefdirigenten Sir Simon Rattle vorstellen? Vielleicht wollte sie sich nicht unangenehmen Fragen stellen.
Geplantes Konzerthaus im Werksviertel: BR hat Verständnis für schwierige Situation
Davon gibt es derzeit viele. Von Kunstminister Markus Blume war zuletzt zu hören, dass alle interessierten Seiten beim BR einschließlich Rattle durchaus Verständnis für die schwierige Situation und die "Denkpause" zum geplanten Konzerthaus im Werksviertel geäußert hätten. Das steht im Widerspruch zu dem, was bislang in dieser Frage vonseiten des BR offiziell und inoffiziell zu vernehmen war.

Für die Intendantin sprang Programm-Direktor Björn Wilhelm ein. Er freue sich, dass der Kunstminister die herausragende Bedeutung des Orchesters herausgestellt und zudem festgestellt habe, dass es eine eigene Heimat brauche. Eine Absage erkenne er nicht, im Gegenteil: Der Kunstminister habe über "Gestaltungsvarianten" gesprochen. Es werde überdies jeden Tag an dem Haus weiter geplant.
Das ist schön, beantwortet aber die Frage nicht. Man darf also davon ausgehen, dass die Darstellung des Kunstministers zutrifft. Da wird vom BR medial lautstark für das neue Konzerthaus getrommelt, um hinter den Kulissen offenbar alles selber zu relativieren: ärgerlich! Auch zur Idee, ob das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Zuge der zahlreich anstehenden Kultur-Sanierungen in München auf ein größeres Interims-Gebäude aufspringen könnte, war nichts Substanzielles zu hören.
Auf das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks kommen schwere Zeiten zu
"Ich hielte es nicht für richtig, jetzt, wo der Prozess endlich wieder richtig ins Laufen kommt, über Alternativen nachzudenken", so Wilhelm. Man gewinnt generell zusehends den Eindruck, dass die Klangkörper beim BR intern genauso wenig Priorität genießen wie das Konzerthaus für die Staatsregierung. Da passt es auch sehr gut ins Bild, dass sich der Sender bei der Finanzierung des Konzerthauses bekanntlich nicht stärker beteiligen will.
Die Liste der Auffälligkeiten ließe sich fortsetzen. So waren während der Pandemie die BR-internen Auflagen für die Klangkörper noch strenger als die ohnehin besonders strengen Auflagen im Freistaat. Bei den Gehältern der Mitglieder steht das BRSO zudem im deutschlandweiten Orchestervergleich nicht einmal unter den "Top 10", und dies in einer teuren Stadt wie München.
Wie man vor diesem Hintergrund und angesichts der massiven Baustellen im Münchner Kulturleben langfristig Spitzennachwuchs gewinnen und halten möchte, auch das bleibt ein großes Fragezeichen. Auf das Orchester kommen schwere Zeiten zu, und das hat die Präsentation der Spielzeit 2023/24 eingetrübt: obwohl fürwahr eine starke neue Ära anzubrechen scheint.
Große Pläne von Chefdirigent Simon Rattle
Es ist erfreulich, dass Simon Rattle als neuer Chefdirigent auch ein großes Familienkonzert leitet (14. Oktober). Auch die bisher eher schwache bayernweite Präsenz des BR-Symphonieorchesters wird mit ihm ausgebaut. So leitet er Gastspiele in Ottobeuren (24. September) sowie in Ingolstadt und Bad Kissingen (13. und 14. Juli 2024); ein weiteres in Regensburg soll der dann 96-jährige Herbert Blomstedt übernehmen (13. Januar). Mit dem Format "Symphonischer Hoagasch" wird zudem mit Laien-Blaskapellen in Bayern gearbeitet, und auch das Bayerische Landesjugendorchester wird von Rattle dirigiert (28. Januar).
Über eine deutliche Aufwertung dürfen sich der BR-Chor und die musica viva freuen. Im Rahmen der verdienstvollen Reihe für zeitgenössische Musik leitet Rattle das gewichtige "Coro" von Luciano Berio: mit dem BR-Chor (13. Oktober). Schon beim Saisonauftakt im September mit Joseph Haydns Oratorium "Schöpfung" mischt der Chor prominent mit wie auch beim großen Galakonzert zum 75. Jubiläum des BR-Symphonieorchesters im April mit Arnold Schönbergs monumentalen "Gurreliedern" und der konzertanten Aufführung von Mozarts Oper "Idomeneo".
Für die weitere Zukunft planen Rattle und die Musiker zudem den Aufbau orchestereigenen Originalklang-Werkstatt mit historischen Instrumenten. Das alles steht auf der Haben-Seite, auf der Soll-Seite bleibt indessen die programmatische Schärfung des Frauen-Profils: Das Deutsche Symphonie-Orchester in Berlin möchte ab der kommenden Saison in jedem Abo-Konzert ein Werk einer Frau präsentieren.
Der BR wird gewiss keine teuren Orchester-Tourneen stemmen wollen
Bei den Abo- und Sonderkonzerten 2023/24 des BRSO sieht es ziemlich mau aus: nur Fanny Hensel und Betsy Jolas. Nicht besser die Verpflichtung von Dirigentinnen: Auch daran werde gearbeitet, so Manager Nikolaus Pont. Während die Bayern-Präsenz ausgebaut wird, beschränkt sich das Orchester bei den internationalen Gastspielen in der kommenden Saison auf Paris und Wien.
Zwar könnten laut Pont weitere Gastspiele hinzukommen, aber: Für ihn steht auch fest, dass die Diskussionen um Klimaschutz und Nachhaltigkeit sowie die Auswirkungen der Pandemie und des Ukraine-Kriegs ebenfalls das Tournee-Geschäft völlig verändern. Was nicht gesagt wurde, aber im Raum steht: Der BR wird gewiss keine teuren Orchester-Tourneen stemmen wollen oder können, zumal die Diskussion um die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wieder voll entbrannt ist.
Das Problem der wunderbaren Klangkörper des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland sind die jeweiligen Anstalten dahinter. Genau diese Realität ist jetzt auch im Freistaat beim BR angekommen. Eines steht fest: Mit einer provinziellen Schnarch-Anstalt im Nacken kann ein Orchester der absoluten Weltspitze wie das BR-Symphonieorchester keinen Topf mehr gewinnen.