Das große Preisträgerkonzert im Herkulessaal - die AZ-Kritik
"Aufmerksamkeit“, so die wichtigste Aussage der MDR-Intendantin Karola Wille in ihrer Begrüßung, bräuchten die jungen Künstler. Tatsächlich ist der Internationale Musikwettbewerb der ARD, der nun zum 65. Mal stattfand, einer der weltweit wichtigsten und hat schon viele große Karrieren begründet. Diese Veranstaltung gehört sicherlich zu den Ruhmesblättern des Ersten, ein aufwendiges Ereignis, das wie nicht wenige andere den Kulturauftrag der Öffentlich-Rechtlichen erfüllt.
Eine Schande ist es da, dass der Wettbewerb im ARD-Fernsehen, wo er hingehörte, de facto nicht stattfindet. Ja, es gibt die Radioübertragungen. Doch nur das BR-Fernsehen sendet eine Aufzeichnung des Preisträgerkonzertes am 3. Oktober, dem Feiertag, vormittags; der Abend gehört der x-ten Wiederholung von Loriots „Ödipussi“ von 1988. Nicht besonders intelligent, wie man ein aktuelles kulturelles Juwel verheizt.
Was diejenigen nämlich verpassen, die keine Zeit haben oder den BR nicht empfangen, sind sieben ausgezeichnete junge Musiker, die vier Werke mit aufregendem Leben erfüllen. Hätten die Programmverantwortlichen den Mumm in den Knochen, würden sie auch die anderen Preisträgerkonzerte übertragen. Dann könnte das Publikum etwa einen hochinteressanten Vergleich zwischen drei ausgezeichneten Hornisten herstellen. Der Deutsche Marc Gruber (2. Preis und Publikumspreis) spielt mit einem eher neutralen und somit moderneren Ton als die romantisch angehauchte Kollegin Katerina Javurková, gleichzeitig sehr ausgeglichen und somit weniger temperamentvoll als Félix Dervaux; das diffizile Hornkonzert Nr. 2 von Richard Strauss erfährt durch Gruber eine geradezu zeitlose Interpretation.
Spannungen auch im Publikum
Ein wahres Kompendium der Möglichkeiten ihres Instrumentes führt auch die französische Harfenistin Agnès Clément vor, die den 1. Preis und den Publikumspreis gewann. Während ihre Freundin Anais Gaudemard einen intimen Debussy vorgetragen hatte, behauptet sie sich in Reinhold Glières schwer spätromantischem Konzert gegen das voll besetzte Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das von Constantin Trinks im Herkulessaal ohne allzu große Volumeneinbußen gebändigt wird. Es ist unerhört, was Frau Clément allein durch die Punktgenauigkeit ihres Zupfens aus dem herrlichen Instrument herausholt, wie sie letztlich das Orchester dominiert, Impulse gibt, diesem widerspricht.
Nicht ganz so großes Glück mit seinem Vortragsstück hatte der Belgier Wies de Boevé, der im Fach Kontrabass mit dem 1. und dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde und bereits eine Stelle im BR-Symphonieorchester besetzt. Er konnte sich im Semifinale mit seinem in allen Lagen reichen Ton, seinem unaufdringlich akzentuierten Spiel in Johann Baptist Vanhals Konzert besser entfalten als in Nino Rotas „Divertimento concertante“, einem aus bei echten Komponisten gestohlenem und dreimal wiedergekäutem Material zusammengeflickten Machwerk.
Spannungen auch beim Publikum, bei dem es, wie man allenthalben hören konnte, umstritten war, hatte das französische Quatuor Arod freigesetzt, das den 1. Preis gewann. Zweifellos ist das ein blendend virtuoses Ensemble, das geradezu darauf versessen ist, die Musik zu dynamisieren und darüber manchmal hyperaktiv wirkt. In Béla Bartóks Quartett Nr. 3 wird es freilich zu einem echten Extremereignis, wie ungeschützt sich die vier Pariser in das Dornendickicht stürzen, ohne Scheu, sich gleichsam das Gesicht zu zerschneiden. Solche aufregenden Momente fördert die ARD – und traut sich dann nicht, sie angemessen zu präsentieren.