Das Cello als Weltenschöpfer

Yo-Yo Ma spielt Bachs Cello-Suiten und „Don Quixote“ von Strauss mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons
Michael Bastian Weiß |
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Yo-Yo Ma spielt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks die Tondichtung „Don Quixote“ von Richard Strauss.
Peter Meisel Yo-Yo Ma spielt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks die Tondichtung „Don Quixote“ von Richard Strauss.

Einen Mann und ein Violoncello: Mehr braucht es nicht, um eine ganze Welt erstehen zu lassen. Die Philharmonie am Gasteig, akustisch angeblich so problematisch, füllt Yo-Yo Ma mit seinem Instrument völlig aus. Das liegt daran, dass er, sobald er die Bühne betreten hat, mit dem Publikum kommuniziert wie sonst kaum ein anderer Ausnahmemusiker. Ein wenig ist noch von dem Spaßmacher des Meisterkurses geblieben, etwa, wenn er, eisbrechend, dem Publikum mit dem Wasserglas zuprostet.

All dies jedoch verschwindet, wenn Yo-Yo Ma für das Präludium der Suite Nr. 1 in G-Dur anfängt, sein Violoncello klingen zu lassen. Ma spielt zart, er lässt sein Stradivari-Violoncello gesanglich ausschwingen und vergisst nicht, ihm auch einmal nachzulauschen. Manchmal ist sein Ton etwas näselnd gambenartig, etwa im d-moll der Suite Nr. 2, manchmal, besonders etwa in der 3. Suite C-Dur, erhält sein Spiel ein geradezu prachtvolles Moment, ganz ähnlich wie zu Beginn und zum Beschluss der 4. Suite in Es-Dur.

Am Ende der Sarabanden, dieser reizvollen, langsamen, emotional tiefsten Tänze innerhalb der Suiten, lässt er die Schlussphasen jeweils – mit langem Atem vorbereitet und dies besonnen auskostend – im Nichts verlöschen. Doch dieses Nichts wird nie zu einer Lücke ausgedehnt, überhaupt werden die jeweils nächsten Sätze, ohne, dass dies auch nur zu einem Anflug von Hektik führen würde, dicht an die vorhergehenden angeschlossen. Jede Suite ergibt somit ein organisches Ganzes. Entgegen der ursprünglichen Bedeutung von „Suite“ als einer Folge von Tänzen sind dies nicht nur mechanische Reihungen, sondern lebt jeder Teil aus dem nächsten heraus. Die 5. Sonate c-moll wird mit geradezu religiöser Inbrunst aufgeladen, mit sublimer Qual und Passion, bevor dann mit der 6. Sonate D-Dur der lichte Ausblick erfolgt. Selbst innerhalb der Folge der sechs Werke kann Yo-Yo Ma einen gewissen Weg verfolgen, der alle miteinander verbindet.

Ein Charismatiker

Zwei Tage später schließlich die Krönung dieser ertragreichen Woche der Miniresidenz des amerikanischen Violoncellisten: Richard Strauss’ großer symphonischer Roman „Don Quixote“, in gewisser Hinsicht das Violoncellokonzert des Komponisten und eigentlich sogar noch mehr. Das, was die Bach-Suiten zum Ereignis machte: die extreme Gestaltenfülle bei gleichzeitiger organischer Einheit, setzt sich nun im Zusammenspiel mit dem großen Orchesterapparat fort.

Yo-Yo Ma ist ein so charismatischer Solist, dass er sich gegenüber den exzellenten Orchestersolisten nicht durchzusetzen braucht. Vielmehr macht er mit ihnen feinste Kammermusik, geht in der Phrasierung auf sie ein, fragt und antwortet und setzt hierbei noch ein wunderbares Mienenspiel ein. Allein, welche Dialoge sich zwischen dem Titelhelden und seinem Knappen, verkörpert vom Bratschisten Wen Xiao Zheng, ergeben! Während Sancho Pansa, etwa in den exzellenten Tenortuba-Soli gegen Schluss, auch einmal die Angst überfallen kann, bleibt Yo-Yo Ma ein gleichbleibend freundlicher Ritter, er spielt sanft, und dies noch im Anblick schlimmster Schrecken.

Im Gegensatz zum späten Lorin Maazel, der etwa die Einleitung in Zeitlupe nahm und somit die radikale Verschiedenheit der Figuren auf engstem Raum betonte, geht Mariss Jansons die Tondichtung im Gasteig gleichsam naturalisierend an, mit gemäßigten, nicht zu raschen, doch lebendigen Tempi.

Sein Hauptaugenmerk liegt nicht auf der Zersplitterung, sondern auf den Verbindungen zwischen den getrennten Ereignissen des hervorragenden BR-Symphonieorchesters, das hörbar vom befreundeten Solisten inspiriert ist. Sowohl die vielen Soli (Tenortuba!) als auch die vollkommen bewusst durchartikulierte Totale sind hinreißend, auch in Antonin Dvo(r)áks 8. Symphonie G-Dur, in welcher viele Brüche gekittet werden.

In dieser Woche konnte man Yo-Yo Ma als sensiblen Lehrer, als weltenschöpfenden Bach-Solisten und als Primus eines großen Symphonieorchesters erleben; schwer zu sagen, was beeindruckender war. Alle diese Facetten zusammen jedoch ergeben erst das Phänomen Yo-Yo Ma.

 

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