Daniel Grossmann: „Früher waren das Einzelfälle“

Die Konzerte des Jewish Chamber Orchestra Munich sind seit Jahren ein fester Bestandteil des Spielplans der Kammerspiele. In seinem neuen Programm beschäftigt sich Daniel Grossmann mit der Musik der Nachkommen spanischer Juden, die 1492 von der Iberischen Halbinsel vertrieben wurden.
AZ: Herr Grossmann, was bedeutet der Titel des Programms „Die Schlüssel von Toledo“?
DANIEL GROSSMANN: Nach der Eroberung Granadas, des letzten maurischen Herrschaftsgebiets auf der Iberischen Halbinsel, erließen die Könige Ferdinand und Isabella ein Edikt, das die spanischen Juden vor die Wahl zwischen Taufe und Auswanderung stellte. Bei ihrer Flucht nahmen viele Familien ihre Hausschlüssel in der Hoffnung mit, bald wieder zurückkehren zu können. Bis heute gibt es Familien, die einen solchen Schlüssel besitzen. Jahrhunderte nach der Vertreibung kamen nach 1933 jüdische Menschen mit solchen Schlüsseln in die spanische Botschaft in Berlin, um auf Judenspanisch Asyl zu erbitten, was ihnen allerdings verweigert wurde.
Wo lebten die spanischen Juden nach ihrer Flucht?
Teilweise in Portugal, wo sie ebenfalls bald vertrieben wurden. Andere gingen nach Nordafrika, nach Thessaloniki, ins Osmanische Reich, aber auch nach Venedig, Hamburg oder Amsterdam.

Warum spricht man auch von „sephardischen Juden“?
Das geht auf den hebräischen Begriff für die Iberische Halbinsel zurück.
Wie klingt die Musik der spanischen Juden?
Weil die meisten dieser Menschen im Osmanischen Reich lebten, hat die Musik einen starken orientalischen Bezug. An unserem Projekt ist daher eine Gruppe aus Istanbul beteiligt, das Janet and Jak Esim Ensemble. Sie singen traditionelle sephardische Lieder, und das Orchester begleitet sie dabei. Außerdem erzählt eine junge Schauspielerin aus Thessaloniki die Geschichte ihrer sephardischen Familie.

Wie haben Sie die Diskussion über die Ausladung des Dirigenten Lahav Shani und der Münchner Philharmoniker in Flandern wahrgenommen?
Erst einmal fand ich den Vergleich mit Russland und dem Rauswurf von Valery Gergiev erschütternd. Russland hat ein unschuldiges Land überfallen, Israels Krieg in Gaza ist eine Reaktion auf dem 7. Oktober. Was in Gaza passiert, ist schrecklich, aber diese Vorgeschichte darf man nicht vergessen. Lahav Shani hat sich sehr deutlich für Frieden ausgesprochen, nie Sympathien für Netanjahus Regierung erkennen lassen und auch das militärische Vorgehen nie verteidigt.
Aber, so sagen seine Kritiker, er ist Chef des Israel Philharmonic Orchestra.
Das Orchester ist kein Staatsorchester, weil es zu 90 Prozent privat finanziert wird. Wir fragen doch auch nicht alle belgischen Musiker, was sie zur Kolonialgeschichte ihres Landes sagen. Wir verlangen auch von Chinesen keinen Gesinnungstest zum Umgang mit den Uiguren oder von Deutschen zum Holocaust. Außerdem wird immer übersehen, dass es in Israel massive Proteste gegen den Gaza-Krieg gibt.

Nach einer gängigen Definition ist es antisemitisch, einzelne Personen für die Politik Israels verantwortlich zu machen.
Der belgische Ministerpräsident hat die Ausladung als antisemitisch kritisiert. Und ich sehe das auch so.
Sind Sie auch schon mal ausgeladen worden?
Nein, aber wir werden nicht eingeladen. Ich habe schon mehrfach von Konzerthäusern und Festivals das Argument gehört, die Stimmung sei schwierig und man könne die Verantwortung nicht übernehmen, ein jüdisches Orchester einzuladen. Teilweise hieß es auch, man wolle uns schützen. Früher waren das eher Einzelfälle, jetzt wird es zur regelmäßigen Erfahrung. Verstehen Sie mich nicht falsch: Niemand muss uns einladen und uns künstlerisch interessant finden. Aber ich höre einfach zu oft, dass man derzeit ein explizit jüdisches Orchester nicht einladen wolle.
Trotzdem: Für eine Haltung der Mehrheitsgeschellschaft halte ich das nicht. Und auch die Solidarität für Shani war stark.
In Teilen der Gesellschaft gibt es diese Unterstützung, in anderen nicht. Denken Sie etwa an die Diskussionen an den Universitäten oder an die die Solidarisierung anderer Künstler mit dem Rapper, der bei Jan Böhmermanns Ausstellung in Berlin ausgeladen wurde, weil er das Existenzrechts Israels leugnet.
Kammerspiele, Dienstag., 14. Oktober, 20 Uhr, Karten online und unter Telefon 233 966 00