Kritik

Damals und jetzt fabelhaft

Die Beatles bringen einen neuen und wohl letzten Song heraus: "Now And Then". Er ist wunderbar
Dominik Petzold
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Ringo Starr (l-r), John Lennon, Paul McCartney und George Harrison von den Beatles
Bruce McBroom/Apple Corps LTD/dpa Ringo Starr (l-r), John Lennon, Paul McCartney und George Harrison von den Beatles

Die Pointe des Rockjahres 2023 ist ziemlich gut: Vor zwei Wochen veröffentlichten die Rolling Stones ihr erstes Album mit neuen Stücken seit 18 Jahren. Und kaum war die Aufregung etwas abgeklungen, kündigten die Beatles einen neuen, letzten Song an: "Now And Then". Schon in den Sechzigern, als ihre marketingtaugliche Rivalität erfunden wurde, stimmten die Bands das Timing ihrer Veröffentlichungen ab. Dass das im Jahr 2023 noch mal nötig sein würde: Wer hätte damit gerechnet?

1970 lösten sich die Beatles offiziell auf, 1980 wurde John Lennon ermordet, 2001 starb George Harrison. "Dass wir im Jahr 2023 immer noch an Musik der Beatles arbeiten - wow!", sagt Paul McCartney in einer 12-minütigen Doku zu "Now And Then", die seit Mittwoch auf Youtube zu sehen ist. Ermöglicht haben das der technische Fortschritt, Künstliche Intelligenz - und Filmemacher Peter Jackson, der durch die "Herr der Ringe"-Trilogie berühmt wurde.

Für seine Beatles-Dokumentation "Get Back" haben er und sein Team eine KI-gestützte Technologie entwickelt, mit der sich einzelne Instrumente und Stimmen isolieren lassen, auch wenn sie auf demselben Kanal aufgezeichnet wurden. Mit dieser Technik konnte letztes Jahr das Beatles-Album "Revolver" komplett neu gemischt werden, auch wenn es 1966 auf nur vier Spuren aufgenommen wurde. Und so konnten Paul McCartney und Ringo Starr nun auch John Lennons Song "Now And Then" vollenden, den dieser in den späten Siebzigern am Klavier als Demo aufgenommen hatte - auf einem handelsüblichen Kassettenrekorder und in entsprechendem Sound.

Mitte der Neunziger hatte Yoko Ono das Band den anderen Beatles zukommen lassen. Darauf waren auch "Free As A Bird" und "Real Love". Paul, George und Ringo vollendeten damals diese beiden Lieder und veröffentlichten sie im Rahmen des großen "Anthology"-Projekts. Sie arbeiteten auch an "Now And Then", doch Lennons Gesang war vom Klavier überlagert, und mit der Technik der Neunziger war beides klanglich nicht zu trennen. Eine wohlklingende Aufnahme war so kaum möglich, die Beatles brachen ab.

Jetzt aber konnte Lennons Gesang dank Peter Jacksons Technik problemlos isoliert werden. Und so griff Paul McCartney 2022 den Faden wieder auf, in Abstimmung mit Ringo sowie den Familien von George und John und gemeinsam mit Produzent Giles Martin, dem Sohn des verstorbenen großen Beatles-Produzenten George Martin.

In Aufnahmen der Neunziger, auf denen auch George Harrison spielte, mischten sie Lennons Gesang aus den Siebzigern. "Da war sie plötzlich: Johns Stimme, absolut klar", sagt Paul. "Ein echt emotionaler Moment war das." Dann nahm er einen neuen Bass-Part auf und schickte die Dateien Ringo. Der zeichnete eine neue Schlagzeugspur auf, schickte sie zurück an Paul - und der machte sich in seinem Studio in Sussex an den Feinschliff.

Er nahm Klavier- und Gitarrenparts auf, sang, spielte ein Slide-Gitarren-Solo in dem charakteristischen Stil, den George Harrison als Solokünstler entwickelt hatte, und schrieb mit Ben Foster und Giles Martin einen Streichersatz. Den nahmen sie in den Capitol Studios in Los Angeles unter Geheimhaltung auf: Den Musikern wurde gesagt, dass sie an einem neuen McCartney-Song arbeiten.

Doch das Ergebnis ist der neue Beatles-Song, der gestern Nachmittag veröffentlicht wurde - und er ist wunderbar. Er ist eine wahre Kollaboration der verstorbenen und lebenden Beatles. Das kann man genau nachvollziehen, da Lennons Originaldemo auf Youtube zu finden ist.

Dessen äußerst getragene Ballade haben seine Kollegen zum Midtempo-Song beschleunigt. Eine lange Bridge haben sie einfach gestrichen und so einen viel organischeren Übergang von der Strophe zum Refrain geschaffen. Kurzum: Sie haben den Song viel runder und eingängiger gemacht.

Der Sound ist voll und dicht - und erinnert über weite Teile weniger an die weltverändernden Fab Four der Sechziger als an eine Mischung aus dem Stil des späten Solo-Lennon und dem späten Solo-McCartney: für einen Beatles-Song des Jahres 2023 also total passend.

Was diesen guten Song aber wirklich herausreißt, ist der Instrumentalteil mit Streichersatz und Slide-Gitarre - und, hineinmontiert: dem Harmoniegesang des Beatles-Songs "Because" von 1969. Gegen Ende werden dann auch noch, ganz beatle-artig, mehrfach die Takte verkürzt, was Überraschungsmomente schafft. Und der kurze Schlussteil beendet diesen Pop-Song sehr stimmig - und ist zugleich eine kleine Reminiszenz an das grandiose "I Am The Walrus" von 1967.

So ist "Now And Then" ein typischer Beatles-Song: total eingängig und kunstvoll-anspruchsvoll zugleich. Und eine großartige Produktionsleistung, entstanden mit modernster Technik - auch in den Sechzigern waren den Fab Four neue Möglichkeiten stets recht.

Und dann ist da noch die kleine Geschichte mit dem Songtitel "Now And Then". Als sich John Lennon und Paul McCartney Ende der Siebziger zum letzten Mal persönlich trafen, verabschiedete sich Lennon mit dem Satz "Think about me every now and then, old friend", denk hin und wieder an mich, alter Freund. Mit der Vollendung von "Now And Then" hat McCartney nun seines alten Freundes gedacht, und das überaus würdig. So schließt sich der Kreis mit diesem letzten Beatles-Song.

Als solcher wurde "Now And Then" in der PR-Kampagne angekündigt, und das klingt ja auch plausibel. Doch ist das nun wirklich "The End", um mit dem Finale des einstmaligen Schwanengesangs "Abbey Road" zu sprechen? Passt man in der besagten Youtube-Doku zu "Now And Then" genau auf, hört man Paul McCartney sagen: "It's probably like the last Beatles-Song" - also eben nur: das wahrscheinlich letzte Lied. Und wenn im Jahr 2023 ein Stones-Album und ein Beatles-Stück veröffentlicht werden, erscheint kaum etwas undenkbar, oder?

"Now And Then" ist auf Streaming-Plattformen sowie als 7''- und 12''-Single erschienen. Das Lied wird auch auf der Kompilation "The Beatles 1967-1970" (Blaues Album) enthalten sein, die wie auch "The Beatles 1962-1966" (Rotes Album) am 10. November neu erscheint

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