Christian Gerhaher und Kirill Petrenko interpretieren Karl Amadeus Hartmann
Weltuntergänge können etwas Lustvolles haben: Christian Gerhaher und Kirill Petrenko mit der "Gesangsszene" im Nationaltheater
Weil er seinen betörend schönen Bariton so außerordentlich subtil modellieren kann, gilt der in Straubing geborene Christian Gerhaher als einer der bedeutendsten Lied-Interpreten seiner Generation. Da ist es besonders interessant, ihn einmal mit einem Werk zu erleben, welches die menschliche Stimme bewusst an ihre physischen Grenzen bringt.
Der späte Karl Amadeus Hartmann hatte seine letzte große Komposition, die „Gesangsszene zu Worten aus ‚Sodom und Gomorrha‘ von Jean Giraudoux“, ganz absichtlich als einen Wettstreit von Stimme und Orchester angelegt. Die lange, von Farben geradezu explodierende Orchestereinleitung schürt die Erwartung, dass der Sänger Gewichtiges vortragen wird. Tatsächlich nimmt sich dann sein ausführlicher Monolog aus wie das letzte Zeugnis eines einzigen Überlebenden. Christian Gerhaher, der so überaus sensible Liedsänger, entfacht hier ein Feuer, das – obwohl er eigentlich dagegen ansingt – die Massierungen des Bayerischen Staatsorchesters förmlich mitreißt. Die letzten Worte dieses unvollendeten Meisterwerks – „Es ist ein Ende der Welt! Das Traurigste von allen!“ – ruft Gerhaher förmlich ins Nationaltheater hinein, und das Publikum antwortet mit begeistertem Beifall.
Dosierte Entfesselungen
Kirill Petrenkos Begleitung ist nicht anders denn meisterlich zu nennen. Er kostet mit dem höchstmotivierten Staatsorchester die Extreme voll aus, mit Lust am Lautsein: Es geht sogar ein Paukenschlägel verloren, weil der Schlagzeugsolist so leidenschaftlich auf sein Instrument eindrischt. Vor allem aber gelingt Petrenko das Kunststück, die Entfesselungen so zu dosieren, dass die Anstrengungen des Gesangssolisten stets voll unterstützt werden. Die letzten Worte deklamiert Gerhaher eindringlich – der Komponist konnte sein Werk selbst nicht mehr vollenden. Gerhaher tut dies.
Vorher dirigiert Petrenko Maurice Ravels „La Valse“ als einen Totentanz, der unglaubliche Detailwut mit bis dato ungehörter Lust am Untergang verbindet. In Hector Berlioz’ „Symphonie fantastique“ regiert Petrenkos feiner Taktschlag über das erweiterte Staatsorchester. Der bescheidene und doch geniale Maestro zeigt hier einmal auch die Faust, er lässt sich gehen, das Orchester wächst über sich selbst hinaus: Ein großer Abend ist die Belohnung.