Kritik

BR-Symphonieorchester im Herkulessaal: Einschüchternde Tutti

Unter Reinhard Goebel spielt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal Werke aus Barock und Frühklassik.
Michael Bastian Weiß |
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Reinhard Goebel bei einer Probe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal der Residenz.
Reinhard Goebel bei einer Probe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal der Residenz. © Astrid Ackermann

München - Man glaubt seinen Ohren nicht zu trauen. Statt einer solistisch ausgezehrten Besetzung bevölkern an die drei Dutzend Streicher die Bühne des Herkulessaals, aus dessen Hintergrund ein Holzbläserchor tönt. 

Wir sind in kein Zeitloch gefallen, und am Pult steht Reinhard Goebel

Anstatt erblassend zu verhauchen, gönnen sich alle ein beherztes Forte, statt permanent zu seufzen und dabei Phrasenenden zu verschlucken, streichen die Violinen alle Motive im breiten Legato aus. Töne werden ausgehalten! Wären da nicht vereinzelte vibratolos säuerliche Liegenoten, könnte man meinen, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks musiziere unter der Leitung von Rafael Kubelik selig, so wie vor 50, 60 Jahren.

Wir sind aber in kein Zeitloch gefallen, und am Pult steht Reinhard Goebel. Zur Erinnerung: jener ehemalige Barockgeiger, der mit der Musica Antiqua Köln die historisierende Aufführungspraxis in zweiter Generation deutlich radikalisierte. Man höre zum Vergleich einmal ältere Aufnahmen des heute fast 70-Jährigen. Von den ins Groteske hochgetriebenen Tempi und der penetrant manierierten Artikulation ist nichts geblieben.

Fünf barocke und klassische Werke für Doppelorchester dramaturgisch glücklich formiert

Was ist da geschehen? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall wendet Goebel nicht die probate, doch bevormundende Methode an, dem Symphonieorchester eine hochspekulative historisierende Stilistik überzustülpen. Vielmehr geht er auf dessen organisch gewachsene, moderne Klangkultur zu.

Fünf barocke und klassische Werke für Doppelorchester hat Goebel dramaturgisch glücklich zu einem Programm zusammengestellt. Nur das "Concerto a due cori" D-Dur von Georg Friedrich Händel bietet einen gewissen Wiedererkennungswert, weil Teile davon in der späteren "Feuerwerksmusik" wiederkehren. Hier macht die symphonische Prachtentfaltung besonders viel Effekt.

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Kurzweilig sind auch die vielen Vergleichsmöglichkeiten: Im Concerto A-Dur RV 585 von Antonio Vivaldi unterscheiden sich die beiden einander gegenübersitzenden Violinsolisten deutlich, auch in puncto intonatorischer Sorgfalt. Die durchgehend einschüchternd massiven Tutti der Symphonie C-Dur des Mannheimers Christian Cannabich nutzen sich irgendwann ab; wäre da nicht mehr an Galanterie möglich gewesen? Schließlich vertragen nicht alle Werke gleich gut die, nun ja, eigenwillige Art Reinhard Goebels, das Symphonieorchester zu leiten.

Während die originelle Sinfonia Es-Dur op. 18/1 von Johann Christian Bach ohne Zwischenfälle abläuft, scheint Goebel in der Ouvertüre B-Dur von Johann Friedrich Fasch Streicher und Holzbläser eher durcheinanderzubringen. Hier wäre es sinnvoller, er würde, statt dem Orchester nachzudirigieren, mehr den Bewegungsgestus vorzeichnen, das undeutliche Taktschlagen aber lieber ganz seinlassen.


Das Konzert kann man sich auf br-klassik.de anhören.

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