"Blanker Antisemitismus": Münchner Philharmoniker dürfen nicht auftreten – Politiker äußern sich empört

Das Orchester der Stadt wird ausgeladen, weil es an seinem israelischen Chefdirigenten festhält.
von  Robert Braunmüller
Die Münchner Philharmoniker mit ihrem designierten Chefdirigenten Lahav Shani.
Die Münchner Philharmoniker mit ihrem designierten Chefdirigenten Lahav Shani. © CoMerz/Mphil

Im Dienstag eröffneten die Münchner Philharmoniker ihre Konzertsaison in der Isarphilharmonie. Darauf sollte eine Europatournee unter dem designierten Chefdirigenten Lahav Shani mit Gastspielen in Luzern, Essen, Paris und Luxemburg folgen.

Die letzte Station der Reise, ein Auftritt am 18. September beim Flandern Festival im belgischen Gent fällt aus, wie am Mittwoch abend bekannt wurde: Dort wurde das Orchester auf Druck der flämischen Kulturministerin Caroline Gennez und von propalästinensichen Aktivisten wieder ausgeladen.

Die Verantwortlichen verlangten eine Distanzierung des Dirigenten vom "genozidalen Regime in Tel Aviv", wie es auf der Homepage heißt. Man habe sich im Einklang mit einem Aufruf der flämischen Kulturministerin, des Stadtrats von Gent und der örtlichen Kulturszene entschlossen, auf die Zusammenarbeit mit Partnern zu verzichten, die sich nicht eindeutig von diesem Regime distanziert hätten, heißt es auf der Homepage des Festivals. Befürchtet werden außerdem "emotionale Reaktionen", die das Konzerterlebnis beeinträchtigen könnten.

Lahav Shani bei der Probe für Mahlers Symphonie Nr. 6 mit den Münchner Philharmonikern und dem Israel Philharmonic Orchestra in der Isarphilharmonie.
Lahav Shani bei der Probe für Mahlers Symphonie Nr. 6 mit den Münchner Philharmonikern und dem Israel Philharmonic Orchestra in der Isarphilharmonie. © Co Merz

Hintergrund der Ausladung ist Shanis Chefposition beim Israel Philharmonic Orchestra. Das Festival habe den Münchner Philharmonikern vorgeschlagen, das Konzert mit einem anderen Dirigenten durchzuführen, was das Orchester und sein Management entschieden ablehnten. Daraufhin wurde das Konzert in der Kathedrale St. Bavo von Flandern Festival abgesagt.

Unter Generalverdacht

Inzwischen sorgt die Ausladung in Belgien für politischen Streit. "Wir sollten nicht verallgemeinern und denken, dass jeder Israeli oder Jude automatisch Benjamin Netanjahus Politik unterstützt", sagte der belgische Außenminister und Vizepremier Maxime Prévot im Radiosender La Première. "Wir sollten nicht zwischen der jüdischen Gemeinde, der israelischen Bevölkerung und Netanjahus Politik verallgemeinern."

Oberbürgermeister Dieter Reiter (links) bei der Vertragsunterzeichnung mit Lahav Shani in der Rathausgalerie.
Oberbürgermeister Dieter Reiter (links) bei der Vertragsunterzeichnung mit Lahav Shani in der Rathausgalerie. © Sven Hoppe/dpa

Das Münchner Rathaus und die Philharmoniker reagierten noch am Mittwochabend scharf auf die Absage. Shani trete "seinem ganzen Wirken als Musiker und Mensch für Verständigung, Humanismus und Dialog ein", heißt es in einer Pressemitteilung. "Israelische Künstlerinnen und Künstler unter Generalverdacht zu stellen und kollektiv zu bestrafen, lehnen wir entschieden ab. Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit von der Bühne, dem Konzertsaal oder anderen öffentlichen Orten zu verbannen, ist ein Angriff auf wesentliche europäische und demokratische Werte."

Florian Wiegand, der neue Intendant des Orchesters, erklärt, er sei "fassungslos" über die Ausladung. Der Kulturreferent Marek Wiechers betont, Shani stehe mit seinem "integrativen Wirken und seiner Haltung wie kaum ein anderer für Menschlichkeit, Versöhnung und Verständigung."

Wolfram Weimer: Eine Schande für Europa

Auch Dieter Reiter meldete sich zu Wort: "Die Münchner Philharmoniker stehen als Kulturbotschafter der Landeshauptstadt München für Offenheit, Vielfalt und Dialog – ganz egal ob zu Hause in München oder auf ihren Reisen in die Konzertsäle Europas und der Welt", heißt es in der Pressemitteilung. "Ich kann die Entscheidung des Veranstalters in keiner Weise nachvollziehen. Die Stadt München und ich persönlich stehen klar an der Seite der Münchner Philharmoniker und an der Seite ihres künftigen Chefdirigenten Lahav Shani."

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, verurteilte die Entscheidung des Musikfestivals scharf und forderte Widerspruch. Auch Charlotte Knobloch fand deutliche Worte für die Absage: „Wer in dieser Lage das historische Echo nicht hört, der stellt sich taub“, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. „In so einer Umgebung ist es für mich auch kein Wunder, dass immer mehr jüdische Menschen ihre Zukunft in Europa mit einem dicken Fragezeichen versehen.“

Für Weimer ist eine rote Linie überschritten (Archiv).
Für Weimer ist eine rote Linie überschritten (Archiv). © Michael Kappeler/dpa

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer sprach sogar von einer "Schande für Europa". Unter dem Deckmantel vermeintlicher Israel-Kritik werde hier ein Kultur-Boykott betrieben. "Das ist blanker Antisemitismus und ein Angriff auf die Grundlagen unserer Kultur", sagte er. "Wenn es akzeptabel wird, deutsche Orchester und jüdische Künstler kollektiv auszuladen, ist eine rote Linie überschritten." Europäische Bühnen dürften nicht zu Orten werden, an denen Antisemiten den Spielplan diktieren. Das werde Deutschland nicht hinnehmen, so Weimer.

Lahav Shani im ersten Konzert der neuen Saison im September 2024.
Lahav Shani im ersten Konzert der neuen Saison im September 2024. © Tobias Hase / mphil

Ähnlich äußerte sich Bayerns Kunstminister Markus Blume. "Das Flandern Festival schickt mit seiner Absage schreckliche antisemitische Misstöne in die Welt: Dass die Münchner Philharmoniker ausgeladen werden, weil ein Israeli am Pult steht, ist nichts anderes als grober Antisemitismus", sagte Blume.

Warum die Ausladung antisemitisch ist

Das ist keine Übertreibung. Die international anerkannte Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) nennt unter "israelbezogenem Antisemitismus" das "Bestreben, alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen". Genau das geschieht hier. Denn der einzige Zusammenhang zwischen der israelischen Politik und Shani, ist seine Position als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra. Und dieses Orchester ist für Netanjahus Politik ebensowenig verantwortlich wie die Münchner Philharmoniker für Entscheidungen des bayerischen Kabinetts unter Markus Söder.

Zubin Mehta (links) mit Lahav Shani.
Zubin Mehta (links) mit Lahav Shani. © Sven Hoppe (dpa)

Shani, der in Berlin lebt und neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist noch bis Sommer 2026 Chefdirigent des Rotterdam Philharmonic Orchestra. Dann wechselt er unter Beibehaltung seiner Chefposition in Tel Aviv nach München, wo er im Februar 2023 zum Chefdirigenten ernannt wurde. Er ist damit Nachfolger von Valery Gergiev, den die Stadt entließ, weil er sich nach Angriff Russlands auf die Ukraine nicht von Russlands Präsidenten Wladimir Putin, als dessen Freund er gilt, distanziert hatte.

Shani äußert sich nur selten politisch. "Alles, was ich weiß, ist, dass jedes getötete Leben eines zu viel ist", sagte der Dirigent vor einem Jahr der "Süddeutschen Zeitung". "Und ich weiß und hoffe, dass auf beiden Seiten bald sehr mutige Menschen nach vorne kommen, Menschen, die in die weitere Zukunft denken und die schwierigen Schritte zum Frieden wagen."

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