Bis zum blanken Entsetzen
Schön. Der „Ich-bin-der-Erste“-Applaudeur war doch so einfühlsam, nach dem letzten Ton der Matthäuspassion wenigstens eine Sekunde zu warten. Schnell gab’s dann die üblichen Steh-Ovationen und Begeisterungsrufe, so, als stünde die Höfl-Riesch auf dem Siegertreppchen. Man hätte im Parkett des Herkulessaals versinken mögen, um noch eine Weile zu verharren in dieser unfassbaren Musik.
Sei’s drum, die überdurchschnittlich vielen jungen Besucher wollten ihre Freunde auf der Bühne bejubeln – nicht ohne Grund. Die Audi Jugendchorakademie ist ein gutes Beispiel für famose Nachwuchsarbeit. Frisch und beweglich klang das Ensemble, das Münchens HochschulChorprofessor Martin Steidler mit freundlichem Nachdruck durch Bachs fundamentalen Brocken wies. Allenfalls an ein paar Chorfugen hätte man mäkeln können, das kratzte aber keinen im unaufgeregten Hin und Her mit der Akademie für Alte Musik Berlin und ihren exquisiten Solisten (Oboe).
Steidler entschied sich gegen das große Drama der Kontraste, konnte dafür die Details ausarbeiten und ließ genauso den Solisten Raum, die jeweiligen Charaktere nuancenreich zu entwickeln.
Tenor Julian Prégardien stach da aus einem eh schon gut besetzten Sextett mit Dorothee Mields, Hilke Andersen (mit anfangs gewöhnungsbedürftigem Alt) sowie Krystian Adam heraus. Sein Evangelist ging am Anfang noch auf Distanz, um schließlich mehr und mehr Teil des Geschehens zu werden – bis hin zum blanken Entsetzen. Thomas E. Bauers Jesus changierte zwischen Enttäuschung, Melancholie und heiligem Zorn. Und in Andreas Wolfs berührendem Bass („Mache dich, mein Herze, rein“) hätte man noch stundenlang hör-baden mögen.
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