Barock und Schock
Erst Schock, dann Hypnose: Im wogenden Punktüll-Neobarockkleid fegt sie herein in den Zuschauerraum. Als sie einer Frau die Hand schütteln will, ist die zu eingeschüchtert von dieser sexy Furie. Dann steigt sie auf die Bühne, und wer Simone Kermes von ihren CDs kennt, erlebt hier noch einmal eine Steigerung: Barock rockt!
Die Arme grooven rhythmisch mit, der Kopf wiegt, der ganze Körper spannt sich und schnellt mit den Koloraturen in die Höhe. Dieser Ganzkörpereinsatz, das Sprühen, die stimmlich wahnwitzigen Arabesken, all das bannt das Publikum: in erregter Spannung bei den Wut-Arien (zu „Empi – Schufte“ des gefangenen Germanicus lässt sich die Kermens vom Kontrabassisten sogar mit einer Kette fesseln) – und in Konzentration bei den wunderbaren Ruhepolen (wie „Alto Giove“).
Simone Kermes riskiert immer alles, geht Terz um Terz höher, ohne jemals einen Ton erzwingen zu müssen, aber es ist eine Eroberung schwindelnder Höhen. Und als ein Koloraturlauf – noch schneller als auf CD – einmal kurz aus der Bahn gerät, flucht sie lachend! Simone Kermes ist unverstellt direkt. Sie stellt liebevoll die Musiker vor („Elvis lebt“, sagt sie zum Geiger mit der Tolle) und verwöhnt das Publikum im vollen Parkett mit vier Zugaben. Die Überraschendste: „Ich singe jetzt mal ein deutsches Lied, das allerdings nicht für Barockorchester geschrieben wurde, aber Sie werden sehen, es passt trotzdem.“ Und dann kommt, zart, völlig unopernhaft „Lili Marleen“!
Atmosphärisch ist Simone Kermes mit dem Teufels-Geiger und -Barockensemble La magnifica communità ein umwerfend intensives Konzert gelungen. Den Herkulessaal hat sie stimmungsvoll abgedunkelt gelassen, „damit er nicht so grell aussieht wie ein Leichenhaus“. Aristischer und lebendiger als mit Simone Kermes kann man ihn nicht füllen.
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