Bachs "Johannespassion" auf der Fraueninsel

Enoch zu Guttenberg dirigiert Bachs „Johannespassion“ als Auftakt zu den Festspielen Herrenchiemsee
Robert Braunmüller |
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Enoch zu Guttenberg.
Hurek Enoch zu Guttenberg.

Etwas Besonderes, abgehoben vom Musik-Alltag, außerhalb der Metropolen mit ihren Theatern und Konzertsälen: Das ist der Kern von Festspielen. Der wurde selten besser getroffen als mit Bachs „Johannespassion“ unter Enoch zu Guttenberg in der Klosterkirche auf der Fraueninsel.

Die ist nur mit dem Schiff zu erreichen, was eine erste Entschleunigung bewirkt. Viele Plätze hat die urtümliche romanisch-gotisch-barocke Kirche auch nicht. Der Rahmen ist fast privat – wie bei einer Familienfeier. Aufführungen größer besetzter Werke sind für den Veranstalter dort ein Luxus. Der sich allerdings lohnt: Jedes gesungene Wort wird verständlich. Schon in der instrumentalen Einleitung klingen Flöte und Oboe des Orchesters der Klangverwaltung schneidend, ehe Guttenberg seine Chorgemeinschaft Neubeuern mit dem dreifachen „Herr“ einsetzen ließ: erst im dröhnenden Fortissimo, dann abgestuft jedes Mal leiser.

Passion als Passionsspiel

Eine Viola da Gamba verliert sich in diesem Raum nicht. Sie kann dort auch laut und intensiv klingen. Der Lobpreis des letzten Chorals dröhnt einem in den Ohren wie der Schluss von Schostakowitschs Fünfter. Das „Erlöse mich“ wird zum Aufschrei.
Enoch zu Guttenberg ist der Christian Stückl der Alten Musik. Er versteht die Passion als Passionsspiel, mit wortgezeugter Musik, die im historisch informierten Stil rhetorisch interpretiert wird.

Das darf durchaus deftig, in den Turbae-Chören der Massenszenen bisweilen sogar krachledern sein. Der eher polemischen Sicht des Evangelisten Johannes auf die Rolle des Volks im Passionsgeschehen ist das nicht fremd. Und die puppenartige, von einem Schwert durchbohrte barocke Schmerzensmadonna im Mittelschiff der Kirche passt auch dazu.

Der Evangelist predigt von der Kanzel: Daniel Johannsen berichtet vom Prozess und der Hinrichtung Jesus Christus nie neutral, sondern mit einer ans Finster-Fanatische grenzenden Leidenschaft. Dass er das mit einer unglaublichen musikalischen Sicherheit und Genauigkeit tut, überhört man fast, so selbstverständlich fügt es sich in seine Interpretation.

Drama mit Ruhepunkten

Guttenberg lässt die Choräle von einem zweiten Chor auf der Empore singen: in raschem Tempo, mit einer herberen Farbe und Anklängen an den kirchlichen Gemeindegesang. Der Haupt-Chor im Altarraum antwortet ihm bei zweistrophigen Nummern. Jesus Christus steht in ihrer Mitte: Tareq Nazmi gibt ihm die Gelassenheit einer weichen, runden und herrscherlichen Stimme.

Ruhepunkte hatte die Aufführung wie jedes gute Theater auch: die von Sibylla Rubens, Olivia Vermeulen, Werner Güra und Thomas Laske gesungenen Arien. Und das Glockengeläut vom Turm. Es trennte den Anfang und das Ende der Aufführung vom Alltag jenseits der Kunst.

Zwischen den beiden Teilen verlas André Jung von der Kanzel eine Predigt über die Verleugnung Petri – ihr Text stammt aus einem Buch, das sich im Besitz von Johann Sebastian Bach befand. Der historische Tonfall und die sanft distanzierte Sprechweise des Schauspielers verhinderte jede Verwechslung der Aufführung mit einem Gottesdienst.

Nach dem Ende der Aufführung gab es einen wunderbaren Sonnenuntergang über dem Chiemsee: Die Festspiele Herrenchiemsee sind ein Gesamtkunstwerk. Und nach allem, was man hört, ist auch nach dem Auslaufen der Förderung durch eine deutsche Großbank der Fortbestand dank der öffentlichen Unterstützung gesichert.

Infos zu den folgenden Konzerten unter www.herrenchiemsee-festspiele.de

 

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