Antoine Tamestit über das Viola-Konzert von Jörg Widmann

Der französische Bratscher spielt heute und morgen das neue Konzert für Viola von Jörg Widmann im Herkulessaal
von  Robert Braunmüller
Antoine Tamestit bei einer Probe für Jörg Widmanns Bratschenkonzert im Herkulessaal.
Antoine Tamestit bei einer Probe für Jörg Widmanns Bratschenkonzert im Herkulessaal. © Peter Meisel

Der Dirigent verharrt auf dem Dirigentenpult, ohne einen Einsatz zu geben“, heißt es am Anfang von Jörg Widmanns Konzert für Viola und Orchester. „Schon vorher hat der Solo-Bratschist unauffällig neben den Harfen Platz genommen und beginnt quasi für sich und wie nebenbei zu spielen.“ Antoine Tamestit hat das Werk im Oktober 2015 in Paris uraufgeführt. Heute und morgen spielt er es mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Daniel Harding im Herkulessaal.

AZ: Herr Tamestit, warum wird der Solist in Widmanns Konzert zum Schauspieler?

ANTOINE TAMESTIT: Der Solist sucht nach seiner Rolle: Er spielt oft allein, ist aber auch Kammermusikpartner von anderen Musikern des Orchesters in Duos oder Trios mit anderen Musikern. Am Ende des Konzerts wird er dann von allen wie in einem traditionellen Konzert begleitet.

Als ich den Beginn in der Partitur gelesen habe, dachte ich an die Aufführung von Berlioz’ „Harold in Italien“, bei der Sie durch das Orchester gewandert sind.

Das war eine Idee des Dirigenten John Eliot Gardiner, weil Berlioz eine vom Orchester getrennte Aufstellung des Solisten verlangt. Aber es gibt eine Beziehung: Ich habe Jörg Widmann davon erzählt, und er hat das weiterentwickelt. Harold wandert durch Italien, der Solist seines Konzerts begibt sich auf eine imaginäre Reise durch die ganze Welt. Manchmal denkt der Hörer, er sei im Fernen Osten. Es gibt Folklore-Fetzen, die sich nicht ohne weiteres zuordnen lassen.

Warum gibt es so wenige Solo-Konzerte für die große Schwester der Geige?

Bach, Mozart, Beethoven und Schubert haben Bratsche gespielt. Es gibt ziemlich viele Solo-Konzerte: etwa von Telemann, Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 6, Werke von Stamitz und so weiter. Aber im 19. Jahrhundert, zwischen Berlioz’ „Harold“ und den Bratschen-Konzerten von Hindemith klafft eine Lücke. Die Viola ist ein besonders Instrument. Sie braucht ein besonderes Orchester. Deshalb hat Hindemith in seinen Konzerten die Geigen weggelassen.

Was machte die Bratsche aus?

Der Viola-Spieler Juri Bashmet hat gesagt: Die Bratsche ist kein Mann und keine Frau, sondern eine Stimme des Kosmos. Ich verstehe nicht genau, was er meint, aber ich gebe ihm in gewisser Weise recht.

Und wie klingt dieser Kosmos bei Widmann?

Sein Konzert spielt in sehr hohen und sehr tiefen Passagen den ganzen Tonumfang des Instruments aus. Die Bratsche wird Partner der Flöte, der Harfe und des Schlagzeugs. Die Bratsche ist ein unglaublich wandelbares Instrument voller Möglichkeiten.

Hat Widmann wie Hindemith die Orchesterbesetzung reduziert?

Bei den Streichern: Es spielen nur vier Violinen, drei Violen und drei Celli. Aber es gibt acht Kontrabässe. Die Frage der Klangbalance hat ihn sehr beschäftigt, auch deshalb, weil er als Klarinettist selbst oft mit Orchester auftritt.

Warum gibt es eigentlich so viele Witze über Bratscher?

Das Instrument ist so groß, dass man es gerade noch auf den Schultern halten kann. Das schaut unbequem aus. Es hat 50 Jahre gedauert, bis gegen die Widerstände von Geigern eine eigene Viola-Klasse am Pariser Konservatorium eingerichtet wurde. Heute muss ein Bratscher genauso gut oder noch besser spielen wie ein Geiger.

Was ist Ihr Lieblingswitz?

Ein Streichquartett strandet auf einer Insel. Sie finden eine Flasche, der Flaschengeist kann nur drei Wünsche erfüllen: Der erste Geiger verschwindet und macht eine grandiose Solo-Karriere. Der zweite Geiger wird Primarius eines Quartetts. Der Cellist startet eine Karriere als Dirigent. Der Bratscher bleibt übrig. Dann fragt ihn der Flaschengeist mitleidig nach seinem Wunsch. „Ich fühle mich einsam“, sagt er. „Ich möchte die anderen wieder zurück.“ Und dann sitzt das Quartett wieder auf der Insel.

Herkulessaal, Do. und Fr., 3. und 4. März, 20 Uhr, Restkarten

 

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