Am Samstag ist "Record Store Day"

Wieder glücklich an der Nadel: Am Samstag feiert die Welt die Schallplatte - am "Record Store Day" werden exklusive Pressungen verkauft, und die Leute stehen Schlange
Philipp Seidel |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Die gute alte schwarze Scheibe hat den besseren Klang.
dpa Die gute alte schwarze Scheibe hat den besseren Klang.

Wieder glücklich an der Nadel: Am Samstag feiert die Welt die Schallplatte - am "Record Store Day" werden exklusive Pressungen verkauft, und die Leute stehen Schlange

Es ist ein Triumph der Unterhaltungsgeschichte: Die CD-Abteilungen in den Kaufhäusern schrumpfen, dafür wachsen die Schallplattenregale wieder. Und es gibt wieder viele kleine Schallplattengeschäfte. Die Technik von vorgestern zeigt der von gestern die lange Nase. Einmal im Jahr werden die Schallplatte und der – unabhängige – Schallplattenladen groß gefeiert. Am Record Store Day (ein Import aus Amerika) an diesem Samstag werden spezielle Pressungen verkauft, die es nur an diesem Tag gibt. Fans stehen dann schon morgens Schlange. So auch beim Schallplattenladen in der Pariser Straße, mit dessen Besitzer Stefan Maierhofer wir sprachen.

AZ: Herr Maierhofer, ich hatte erwartet, bei Ihnen schauen fast nur fanatische Sammler und DJs vorbei – das stimmt aber offenbar gar nicht.

Stefan Maierhofer: Nein, DJs kommen ganz wenige, weil die meisten inzwischen mit MP3s arbeiten. Richtig Platten auflegen können nur noch wenige, das ist wirklich eine Kunst. Die haben zwar manchmal noch Plattenspieler vor sich stehen, aber die sind reiner Fake, sie spielen die Musik vom Computer ab und sind nicht mehr mit dem Plattenkoffer unterwegs. Es kommen aber inzwischen wieder viele junge Leute vorbei.

Was macht den Reiz der Schallplatte aus?

Das ist sicherlich das haptische Vergnügen: Man kann sie groß und unpraktisch in der Hand halten, ins Regal stellen, die wunderschönen Cover ohne Vergrößerungsglas genießen. Der Klang ist anders als von digitalen Medien her gewohnt: die innere Spannung in der Musik, die Zusammenhänge, die innere Dramaturgie, das Zusammenspiel der Instrumente bleibt besser erhalten und kann einfacher nachempfunden werden. Digitale Musik hat die Tendenz aus den Lautsprechern in „Stücken“, Bit für Bit zu purzeln. Ich denke, es hat auch etwas damit zu tun, wie ein Mensch hört: nämlich mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnesorganen. Insbesondere sind wir in der Lage, Obertöne zu spüren, die die Echtheit der Musik ausmachen. Ein Vergleich: Man stellt sich ein Steak vor, im Stück gebraten, und dann wird es angeschnitten. Man kann die Unterschiede der einzelnen Fleischsorten gut herausschmecken – es ist einfach ein Genuss. Wenn man dagegen das Steak vorher in Stücke schneidet, die Stücke brät und hinterher wieder zu einem Steak zusammensetzt – wie viel der Authentizität des Steak-Geschmacks – des Steak-Essens – bleibt dann noch erhalten? Ich denke, das trifft den Sachverhalt ganz gut. Ein wichtiger Bestandteil ist dann sicherlich auch die begrenzte Verfügbarkeit der Schallplatte. Limitierte Auflagen, nicht downloadbar. Man geht wieder in einen richtigen Laden und hat Spaß. Platten haben daher einen erstaunlich guten Werterhalt. Das kommt noch dazu. Sie sehen: Der Reiz der Schallplatte ist vielschichtig.

Sind Sie damals mit dem Aufkommen der CD von der Nadel weggekommen?

Ich habe immer an der Nadel gehangen. Ich habe mein Studium mit Plattenauflegen finanziert. Und so ist das irgendwie geblieben. Ich habe die Zeit genutzt, als jeder seine Platten weggeschmissen hat, und habe nun ein Lager mit 400 Quadratmetern, da stehen 100 000 oder 200 000 Platten rum.

Damit kann man durchaus mal einen Tanzabend musikalisch gestalten.

Da ist aber von Klassik über Jazz alles dabei, das ist nicht spezialisiert.

Welche Rolle spielt der Online-Versand bei Ihnen?

Der spielt schon eine Rolle, aber nicht so dramatisch. Es gibt extrem hohe Retouren. Da gibt es Schlauberger, die ihre eigene kaputte Platte zurückschicken und sagen: Hey, du hast mir eine defekte Platte geschickt. Deswegen kenne ich lieber die Leute, die bei mir Platten kaufen. Die zahlen auch mal einen Euro mehr, weil sie wissen, was sie dafür kriegen. Und wenn die dann ein Problem haben, werden sie fair behandelt.

Das Plattengeschäft ist also weiterhin ein Geschäft von Aug’ zu Aug’?

Würde ich sagen. Platten sind ja auch relativ schwer. Wenn man die verschickt, muss man sie extrem gut verpacken, und es ist teuer. Und auch neue Platten haben mal eine Macke, die muss ich dann natürlich umtauschen. Wir versuchen aber, das unter fünf Prozent zu halten. Wenn ich das mit den Umtauschraten von anderen Onlinehändlern vergleiche ...

Meine alten Schallplatten sind sehr unterschiedlich dick und schwer. Sind das Qualitätskriterien?

Solche Unterschiede gibt es heute auch noch, aber nicht mehr so groß wie früher. Speziell in den 60er Jahren kam man auf die Idee, recycletes Vinyl zu benutzen, teilweise mit Ruß versetzt, um Kosten zu sparen. Die flexiblen Platten hatten dann vielleicht noch 110 Gramm. Das waren diese ganz dünnen Flummis. Und wenn man in die von beiden Seiten die Rillen reinschneidet, geht das schon zu Lasten der Stabilität.

Wie schwer soll denn eine Platte im Idealfall sein?

Ich würde sagen, zwischen 150 und 200 Gramm ist es relativ egal, wenn die Platte sauber gefertigt ist. Das hängt auch von der Fertigungsmaschine ab. Die Pressmaschinen kommen am besten mit 150 bis 180 Gramm zurecht.

Ich habe gehört, die Maschinen müssen heute viel schneller laufen als früher, weil die Nachfrage so groß ist.

Die versuchen jetzt, rauszuholen, was irgendwie geht. Aber im Prinzip sind das noch die selben Maschinen wie früher. Es gibt jetzt aus Kanada auch vollautomatische Pressmaschinen, man muss sehen, wie die arbeiten. Manche Firmen fahren ihre Maschinen langsamer und eher manuell, bei denen ist die Qualitätskontrolle dann besser. Und es gibt wieder Firmen, die Ersatzteile für die alten Maschinen produzieren. Das geht alles in die richtige Richtung. Ich habe gerade erst wieder einen Artikel gelesen, in dem der Tod der Schallplatte vorhergesagt wurde, weil es keine Ersatzteile mehr gibt. Das ist nicht so.

Schallplattenläden haben viele gebrauchte Platten von früher im Angebot ...

Nö, man kann auch nur Neue kaufen.

Sie haben beides im Laden; wie ist denn das Verhältnis zwischen Alt und Neu?

Wir verkaufen genauso viele gebrauchte wie neue Platten. Manchen Leuten geht es mehr um die Musik, die kaufen dann eine normale Platte, die schon mal gespielt worden ist, für sechs statt für 20 Euro. Und andere suchen eher die teureren Platten.

Welche Musik wird denn heute neu aufgelegt? Welche Richtung, welche Künstler? Oder kann man das nicht pauschal sagen?

Es sind eher die nicht kurzlebigen Sachen.

Also kein „Best of Deutschland sucht den Superstar“?

Genau. Ich sage jetzt nicht, was ich davon halte. So was werden Sie auf Vinyl nicht finden. Es sind meist ambitionierte Independent-Sachen, die eher nicht in der Hitparade auftauchen. Eine Ausnahme ist vielleicht die letzte LP von David Bowie, die bestimmt in einer Auflage von 100 000 oder 200 000 Stück rausgekommen ist. Die erste Pressung war sofort vergriffen, und die Preise sind explodiert.

Das ist ja ein sehr lebendiger Markt – anders als bei der CD.

Schauen Sie sich den Record Store Day an: Auf der Website steht, welche Platten da kommen.

Nur an diesem Tag werden spezielle Platten verkauft.

In geringer Auflage. Teilweise gibt es von den Platten nur 100 oder 300 Stück. Die sind auch oft in farbigem Vinyl, besonderen Formaten und nummeriert. Da gibt es Titel, die vorher nie verfügbar waren.

Was ist da bei Ihnen im Laden los?

Da stehen manchmal 300 Leute vorm Laden, so dass ich die nur in Gruppen reinlassen kann, damit die sich hier nicht an die Gurgel gehen. Ich weiß nämlich nie, wie viele Platten ich tatsächlich geliefert bekomme. Ich verkaufe die zum normalen Kalkulationspreis, und jeder kann so viele Platten kaufen, wie er will. Ich schätze, dass wir extra für diesen Tag an die 5000 Platten kriegen.

Und die werden Sie alle los?

Alle nicht. Aber viele. Ich habe noch Record-Store-Day-Platten aus den vergangenen Jahren, die verkaufe ich auch mit. Aber eben nur an diesem einen Tag. Man muss es ja nicht übertreiben. Ich habe lieber zufriedene Kunden und verdiene mal einen Euro weniger.

Da kommen dann aber wirklich die Sammler. Der Record Store Day ist also kein guter Tag, wenn man einfach mal einen Plattenladen kennenlernen möchte.

Definitiv.

Haben Sie dann personelle Verstärkung?

Ja, und wir räumen den Laden um. Da gibt es hier nur die Platten vom Record Store Day.

Wie viele Platten haben Sie denn sonst im Laden?

Etwa 50 000 oder 60 000 Platten.

Haben Sie die alle erfasst?

Die sind schon einigermaßen sortiert, ich weiß auch ungefähr, was ich habe. Aber wenn ich die alle erfassen würde, würde das pro Platte mindestens einen Euro kosten. Da machen wir das lieber ein bisschen chaotischer. Plattenläden müssen so sein: Da muss man rumwühlen und etwas finden können, was die anderen vielleicht noch nicht entdeckt haben. Man kann sich nach Lust und Laune inspirieren lassen. Man kann auch mit uns reden, ab und zu wissen wir ja auch was. Manche Leute singen uns was vor und wollen dann wissen: Was ist denn das für eine Platte? Bei uns arbeiten meistens Musiker in ihrer musikfreien Zeit. Das Lied und die Platte kriegen wir dann schon raus.

Sie bieten auf Ihrer Internetseite auch „japanische Pressungen“ an – was ist denn das?

Wenn Japaner etwas bauen, haben sie extrem hohe Qualitätsansprüche. Und so ist das auch in der Plattenfertigung. Das sind neben den deutschen die besten Pressungen, die man kaufen kann, von der Vinylqualität her und vom Artwork der Cover. Das ist echt irre, was die da machen.

Näheres zum Plattentag unter recordstoredaygermany.de. Diese Plattenläden nehmen teil Hier geht es morgen rund Der Schallplattenladen (Pariser Straße 50) Echt Optimal Schallplatten (Kolosseumstraße 6) MAOZ Vinyl & Kaffee (Hiltenspergerstraße 15) Mono (Elsässerstraße 19) M.U.F.T. Musik- und Film-Treff (Baaderstraße 84) Tonabnehmer (Belgradstraße 31) Topkaufmunich (Thalkirchner Straße 127)

 

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.