"Absoluter Wahnsinn": Ausladung der Münchner Philharmoniker sorgt für weitere Empörung

Nach der Ausladung in Flandern geben die Münchner Philharmoniker nun ein spontanes Gastspiel beim Musikfest in Berlin. Musikerinnen und Musiker wie Igor Levit und Anne-Sophie Mutter kritisieren die Ausladung in Gent
von  Robert Braunmüller
Lahav Shani und die Geigerin Lisa Batiashvili bei „Klassik am Odeonsplatz“ im vergangenen Juli.
Lahav Shani und die Geigerin Lisa Batiashvili bei „Klassik am Odeonsplatz“ im vergangenen Juli. © Marcus Schlaf

Nach der Streichung des Gastspiels der Münchner Philharmoniker beim belgischen Gent-Festival hat das Musikfest Berlin das Orchester mit seinen Chefdirigenten Lahav Shani spontan für ein Konzert eingeladen. Die Einladung erfolge als Initiative der Berliner Festspiele und der Stiftung Berliner Philharmoniker in Zusammenarbeit mit dem Konzerthaus Berlin, heißt es in einer Mitteilung.

Damit solle ein Zeichen gesetzt werden „für die verbindende Kraft der Kunst, die Grundwerte unserer demokratischen Gesellschaften in Europa und gegen Antisemitismus, Diskriminierung und den Boykott in Kunst und Wissenschaft“. Das Konzert wird zwischen die Gastspiele der Philharmoniker am Samstag in Frankfurt und am Dienstag in Paris eingeschoben. Es findet am Montag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt statt. Auf dem Programm stehen neben Beethovens Violinkonzert mit der Solistin Lisa Batiashvili das Vorspiel und der Liebestod aus Wagners „Tristan“.

Das belgische Gent Festival hatte die kurzfristige Absage des für den 18. September geplanten Konzertes damit begründet, dass der in Tel Aviv geborene und in Berlin lebende Shani auch Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra ist. Im Lichte dieser Rolle von Shani sei man nicht in der Lage, für „die nötige Klarheit“ über seine Haltung dem „genozidalen Regime“ in Israel gegenüber zu sorgen, hieß es in einer Erklärung auf der Homepage des Festivals.

Die Philharmoniker hätten in der Kirche St. Bavo spielen sollen.
Die Philharmoniker hätten in der Kirche St. Bavo spielen sollen. © IMAGO/IP3press

Die Ausladung löste in Deutschland scharfe Reaktionen aus. Dem belgischen Festival wurde Antisemitismus vorgeworfen. Das Gent Festival van Vlaanderen verteidigt die Entscheidung. Laut dem künstlerischen Leiter Jan Van den Bossche sei die Wahl „nach reiflicher Überlegung“ getroffen worden und „in keiner Weise von Antisemitismus eingegeben“.

Dem Ansehen Belgiens Schaden zugefügt

Van den Bossche verteidigt sich mit dem klassischen Argument aller Antisemiten: Er habe ganz viele jüdische Freunde. „Wir haben in der Vergangenheit, und auch im nächsten Jahr erneut, oft israelische und jüdische Musiker zu Gast“, so Van den Bossche. „Sogar das Israel Philharmonic Orchestra trat bereits mehrfach in Gent auf. Von Antisemitismus kann hier absolut keine Rede sein. Lahav Shani ist zudem ein fantastischer Künstler.“

Lahav Shani, Lisa Batiashvili und Dieter Reiter nach „Klassik am Odeonsplatz“ im vergangenen Juli.
Lahav Shani, Lisa Batiashvili und Dieter Reiter nach „Klassik am Odeonsplatz“ im vergangenen Juli. © Marcus Schlaf

Das Festival betont, dass die Absage ausschließlich mit Shanis Funktion als Chefdirigent des Israeli Philharmonic Orchestera zusammenhinge. „Wir wissen nicht, wo er in diesem Konflikt steht, und Völkermord lässt unserer Ansicht nach keinen Raum für Unklarheit“, so Van den Bossche. Man habe Shani mehrfach die Gelegenheit gegeben zu haben, seinen Standpunkt zu verdeutlichen, habe jedoch als Antwort erhalten, dass es keine weitere Klarstellung geben werde.

Der belgische Premierminister Bart De Wever kritisierte die Ausladung, die unter anderem von der flämischen Kulturministerin Caroline Gennez betrieben wurde, Jemandem allein aufgrund seiner Herkunft ein Berufsverbot aufzuerlegen, sei rücksichtslos und unverantwortlich, so De Wever. Die Entscheidung habe dem Ansehen Belgiens schweren Schaden zugefügt.

"Intellektueller Offenbarungseid"

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat als Reaktion auf die Absage ihre Partnerschaft mit dem Festival beendet. Botschafter Martin Kotthaus begrüßte, dass Außenminister Maxime Prévot und der Ministerpräsident der Region Flandern, Matthias Diependaele, sich von der Entscheidung des Festivals distanziert hatten.

Der Pianist Igor Levit.
Der Pianist Igor Levit. © picture alliance/dpa

In den „Tagesthemen“ kritisierte Igor Levit am Donnerstag das Festival. „Man knickt ein vor dem Druck der Straße“, sagte der Pianist. Er bezeichnete es als „intellektuellen Offenbarungseid“, die Ausladung Shanis in Gent mit dem Rauswurf Valery Gergiev bei den Philharmonikern zu vergleichen. Gergiev sei ein „Kollaborateur“ und „Profiteur der Machenschaften des russischen, imperialistischen Diktators“.

Mit Shani solidarisierten sich weitere Musikerinnen und Musiker, darunter die Pianistin Martha Argerich und der Cembalist Mahan Esfahani. Das Deutsche Symhonieorchester Berlin, die Bamberger Symphoniker und die Staatskapelle Berlin veröffentlichten kritische Stellungnahmen zu der Ausladung in Gent.

Lahav Shani und Anne-Sophie Mutter im Juli 2024 bei „Klassik am Odeonsplatz“.
Lahav Shani und Anne-Sophie Mutter im Juli 2024 bei „Klassik am Odeonsplatz“. © picture alliance/dpa

Auch die Geigerin Anne-Sophie Mutter meldete sich zu Wort. „Es ist der absolute Wahnsinn, dass wir Musiker immer wieder als politische Barometer missbraucht werden“, sagte sie BR-Klassik. „Ich finde es sehr belastend, undemokratisch und auch antisemitisch, dass man eine Stellungnahme von Lahav Shani erwartet. Man kann nicht ein ganzes Volk für seine politische Führung verantwortlich machen.“

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