Müllersches Volksbad: "Queen Poppea"

Nichts sieht dekorativer aus als eine junge Frau im Badeanzug, die im azurblauen Wasser rückenschwimmend ihre Kreise zieht. Hollywood weiß das schon lange. Doch dann passiert etwas, das jeden Technicolor-Schinken in den Schatten stellt: Frauke Mayer, die besagte Nixe, beginnt - zu singen! Und während man noch rätselt, wie das geht und ob das nicht gefährlich ist, erfüllt ein betörender Mezzosopran den Raum und verschlägt dem Publikum den Atem.
Der Regisseur Andreas Wiedermann hat 2010 das Müllersche Volksbad als Spielstätte mit Mozarts "Idomeneo" entdeckt. "Queen Poppea", die diesjährige Produktion der freien Gruppe Opera Incognita, nutzt die attraktive Jugendstil-Kulisse des Müllerschen Volksbads visuell höchst sinnlich aus. Und mehr noch: Der so zierlich glucksende und plätschernde Ort findet sich in der Handlung der "L'Incoronazione di Poppea" selbst wieder, als ob Claudio Monteverdis Oper die bald 400 Jahre seit ihrer Uraufführung geduldig auf genau diese Inszenierung gewartet hätte.
Der Philosoph Seneca nämlich, den der Brasilianer Robson Bueno Tavares mit stoisch machtvoll hallendem Bass verkörpert, fand den Tod laut Überlieferung ja tatsächlich im Dampfbad. Die Inszenierung stellt diese Szene an den Schluss des ersten Teils und macht ein grandioses Happening daraus: Tavares gleitet im aufwallenden Nebel ins Wasser, wird von seinen Schülern sanft aufgefangen und, so können wir uns vorstellen, er würde in die nahegelegene Isar als Unterweltfluss Styx geleitet. Dazu stimmt der Chor "Who Wants to Live Forever" an, einen von mehreren Queen-Songs, die sich überraschend gut mit Monteverdis so süchtig machender Musik vertragen.
Übrigens hatte Kaiser Nero auch seiner Mutter Agrippina eigentlich ein nasses Ableben zugedacht. Mit schwarzhumorigem Slapstick erinnert die Produktion daran, wenn zu Beginn eine ältere Dame im Rollstuhl laut röchelnd kollabiert - und dann von ihren Begleitern umstandslos in das Damenschwimmbecken gekippt wird. Durch solche sinnfälligen Bezüge, verbunden mit einer effektvollen Ausstattung (Bühne und Kostüme: Aylin Kaip), wird das Müllersche Volksbad, dessen namengebender Stifter und sein Bauherr sich seinerzeit schon von römischen Thermen hatten inspirieren lassen, auf hochintelligente Weise zu einem vollwertigen Protagonisten des Geschehens.
Letztlich aber ist und bleibt Monteverdis Welttheater eine Oper. Was das siebenköpfige Instrumentalensemble leistet, wie die Streicher allein mit der hohen Luftfeuchtigkeit zurecht kommen, grenzt ans Heldenhafte. Als koordinierender Mittelpunkt des Spektakels fungiert der Dirigent Ernst Bartmann, der auch die Einrichtung der Partitur übernahm. Dass er, auf der Rückempore dicht unter der Kuppel postiert, unsichtbar bleibt, ist einigermaßen ungerecht. Denn die Begleitung und die Sängerinnen müssen eine monumentale Raumtiefe mit riesigen Distanzen überwinden. Jessica Poppe nutzt die hier einmal buchstäbliche Hallenbad-Akustik für die phänomenal expressiven Klagegesänge der Ottavia voll aus, Carolin Ritter als unglücklich verliebter Ottone hat hörbar Freude daran, wie bezwingend nicht allein ihre Tiefe klingt, Johanna Schumertl als Amore schwebt mit ihrem glockenhellen Sopran und ihrer charmant quirligen Art als eine Art guter Geist über dem Ganzen.
Am Schluss singen Frauke Mayer und die nicht minder fabelhafte Karin Torbjörnsdottir eines der schönsten Liebesduette der Musikgeschichte. Der klanglich rauschafte, bisweilen androgyne Hauch der Poppea verschlingt sich dabei so ununterscheidbar mit dem ebenfalls höchstsinnlichen, aber heller gefärbten Timbre des Neros, dass durch diese Verwirrung der Geschlechter ganz unbemerkt bleibt, wie amoralisch diese Feier der Lust doch ist. Das Publikum bleibt gleichsam wie betäubt zurück, und das nicht nur wegen des tropischen Klimas des Dampfbades.
Wieder am 31. August sowie am 1., 2., 6., 8., 9., 14. und 16. September jeweils um 19,30 Uhr im Müllerschen Volksbad, ausverkauft, Restkarten evtl. bei Münchenticket